26. Mai 2000: Erinnerungen an einen Tag in München

Wer weiß das noch? Am 26. Mai vor 23 Jahren führte Diego Maradona den FC Bayern München als Kapitän aufs Spielfeld. Es war der Tag, an dem Deutschlands Rekord-Nationalspieler Lothar Matthäus Abschied nahm vom aktiven Fußball. Nach 150 Länderspielen und einer legendären Karriere. Das Abschiedsspiel fand im Münchner Olympiastadion statt, Maradona unterbrach seinen Drogenentzug in Kuba, um seinem langjährigen Gegner Matthäus die Ehre zu erweisen und eine halbe Stunde mitzuspielen. In den Wochen zuvor hatte Diego seinen Gastgeber mit einer Flut von Sonderwünschen zur Verzweiflung gebracht; allein Flüge und Unterbringung seiner argentinischen Entourage fraßen einen Teil der Einnahmen auf.

Es gab Gerüchte, Matthäus hätte Maradona mit der Einladung das Leben gerettet. Dazu gab es später ein Interview in der SZ mit Matthäus:

SZ: Im Jahr 2000 feierten Sie im Olympiastadion in München Ihr Abschiedsspiel. Und es mag übertrieben klingen, aber es gibt Menschen, die glauben, im Grunde haben Sie Maradona damals das Leben gerettet. Er war gerade in Kuba, in einer schlimmen persönlichen Krise. Sie luden ihn ein zum Spiel – und er fand dadurch wieder zurück auf einen Fußballplatz, an einen Ort, wo er glücklich sein konnte.

LM: Wenn Sie wüssten, wie schwierig es war, an ihn heranzukommen! Er hatte sich abgeschottet und er war auch da von falschen Leuten umgeben. Da wurden Summen aufgerufen … Zehn Leute müssten mitkommen, hieß es, die Familie, die Freunde, dazu Business-Class-Flüge, das ganze Programm. Aber für mich war es einfach wichtig, ihn dabei zu haben. Ein Abschiedsspiel ohne Maradona, das war undenkbar. Das geht ja gar nicht, habe ich mir gesagt.

SZ: Maradona hat es genossen.

LM: Wahnsinnig! Der Applaus, die Atmosphäre, der Respekt von den Gegnern, von den Mitspielern, die ihm den Ball überlassen haben … Er konnte im Grunde gar nicht mehr laufen, weil er so stark übergewichtig war – aber diese Liebe, dieser Spaß! Das war alles sensationell. Ich freue mich immer für andere, wenn es ihnen gut geht. Und Diego hat sich in dem Moment wieder gut gefühlt.

Am 26. Mai 2000 war auch ich in München, doch aus einem anderen Anlass: Zusammen WELT-Redakteur Alexander Steudel wollte ich für die Zeitung ein Doppel-Interview führen mit Günter Netzer und Sönke Wortmann. Im Hotel Vier Jahreszeiten und zu einem Thema, das beide verband: Regie führen.

Nach dem Interview lief mir ein Kollege in der Lobby über den Weg und fragte: „Sehen wir uns gleich im Stadion?“ „Bin nicht akkreditiert, habe keine Karte“, sagte ich. „Ich besorge dir eine“, antwortete der Kollege. So war ich deutlich vor dem Anpfiff im Olympiastadion, um Maradonas berühmtes Aufwärmprogramm mit offenen Schnürsenkeln zu genießen. Dank meines Berufes hatte ich ihn oft live spielen sehen. Dies war nun mein persönlicher, sentimentaler Abschied von einem Genie am Ball, auch mit Wampe.

Auf der Pressetribüne traf ich meinen langjährigen Freund und Kollegen Alfred Draxler. „Gehst du noch mit zu den Sponsoren-Logen?“, fragte er. „Wie komme ich da rein?“, fragte ich zurück. Alfredo zog den linken Sakkoärmel hoch, worauf ich kurz an Wolfgang Petrys Freundschaftsarmbandständer denken musste: Acht oder zehn VIP-Bänder zierten Alfreds Unterarm. Am Eingang zur Loge des damaligen Bayern-Trikotsponsors Opel krempelte er einmal mehr den Ärmel hoch. Der Ordner schien angemessen beeindruckt, dann deutete er in meine Richtung: „Was ist mit dem?“ „Der hat `ne Bänderallergie“, beschied ihm Alfred.

In der Loge trafen wir das langjährige Opel-Testimonial Toni Schumacher. Wir waren einander schon lange freundschaftlich-professionell verbunden; bei Tonis Abschiedsspiel 1992 in Köln hatte ich, zusammen mit meinem Freund Tommy Damerow, die Öffentlichkeitsarbeit verantwortet.

Mit Toni und Tommy Damerow (links) nach dem Kölner Abschiedsspiel in der Kabine

„Sehen wir uns gleich noch in der Reitschule bei Lothars Aftershowparty?“, fragte Toni. „Ich hab keine Einladung.“ „Nimm meine, ich komm` auch so rein“, sagte der Ex-Keeper, der 1992 zum Ende seiner Laufbahn auch noch beim FC Bayern zwischen den Pfosten gestanden hatte.

So fuhr ich, wie all die anderen persönlich eingeladenen Partygäste, mit dem Shuttle-Bus vom Olympiastadion zum Café Reitschule, einem populären Ort für Veranstaltungen aller Art in München. Inmitten einiger Bayern-Spieler wackelte ich zum Eingang, meine Einladungskarte wurde nicht einmal kontrolliert. Dann setzte ich mich gleich links an den Journalisten-Tisch.

Minuten später segelte Maradona in Begleitung seines Hofstaats in den Saal. Umweht von dieser speziellen Diego-Aura, irgendwo zwischen Mafia-Boss, Streetfighter und dem Weltfußballer, der genau wusste, was er konnte und immer bereit schien, einem Ignoranten dieses Wissen notfalls per Handkante zu vermitteln. Vielleicht aber war es auch nur der abwesende Blick eines mental müden Ballkünstlers, der eigentlich nur spielen wollte, mit der ihm gewährten Gott-gleichen Verehrung aber hoffnungslos überfordert war.

Die Party begann. Lothar sprach ein paar Worte zur Gemeinde, anschließend intonierte Italiens Blues-Barde Zucchero seinen Hit „Senza una donna“. Dann wurde aufgetischt.

Und noch immer keine Spur von Toni Schumacher.

Eine gute Viertelstunde später stürmte seine Frau Yasmin an meinen Tisch: „Gib mir die Einladung bitte. Die Türsteher lassen Toni sonst nicht rein.“ Ich gab ihr die Einladungskarte.

So bin ich halt: Ich helfe, wo ich kann.