Titelfoto: Arden Hotel & Residence Pattaya

Sin City oder Familiendestination?

Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff

Kein Image kommt geflogen wie eine Frisbee-Scheibe und ist plötzlich da. Es wächst, dann ist es Beton. Ein Top-Image kann in Minuten zerschmettert werden, doch es kann Jahre brauchen, ein schlechtes zu ändern. Manche Städte haben gar kein Image, Pattaya hat gleich zwei. Walking Street und Muttertag. Wie passt dieses Duo zusammen? Nur eine Frage der Perspektive? Vielleicht ist das einstige Dorf am östlichen Golf von Thailand, das nun 120’000 Einwohner zählt, ja auch eine passende Metapher fürs ganze Land. Für seine Vielfalt, seine Toleranz und das geschmeidige Navigieren durch alle Widersprüche.

Aus Sicht der meisten Westler bleibt Pattaya Sin City, das Sündenbabel am Meer. Unterschlupf für Kriminelle, Tatort und Hauptstadt fantasievoller Sexzesse. Mediale Überschriften stützen dieses Image nahezu täglich. Chinesische Betrügerbande verhaftet. Deutscher Immobilienmakler zerstückelt in Gefriertruhe gefunden. Einheimische Jugendliche belagern Pool-Villen mit scharfen Waffen. Schlägereien am Strand. Älterer Japaner fällt vom Balkon im achten Stock seines Hotels; Russin (33) fällt vom Balkon ihres Apartments im neunten Stock. Und keiner weiß: War es Alkohol? Suizid? Pech? Mord? Und warum sind es eigentlich immer Inder, denen die Ladyboys die Goldketten klauen?

Angesichts dieser Geschichten mag es erstaunen, dass sich der normale Besucher keineswegs gefährdet fühlt in Pattaya, was ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann.

Bleibt der Imagefaktor Sex. Wie meist in Thailand, ist das Bargewerbe öffentlich einsehbar, was seinen Gegnern die Empörung erleichtert. „Die Branche erlebt hier nach der Aufhebung der Reisebeschränkungen einen neuen Boom“, beobachtet Björn Jahner, 42. Der Norddeutsche lebt seit 20 Jahren in Thailand, seit 12 Jahren in Pattaya als Redaktionsleiter des deutschsprachigen Magazins „Der Farang“. „Doch der Wandel der Stadt“, ergänzt Jahner, verdränge das Gewerbe verstärkt in zweitklassige Lagen in der Innenstadt.

„Für die meisten westlichen Urlauber allerdings bleiben die Walking Street mit den Neonreklamen der vielen A-Go-Go-Bars, Nachtclubs und Restaurants sowie der weltbekannte Pattaya-Schriftzug auf dem Pratumnak-Hügel die ungeschlagenen Wahrzeichen.“

Pattayas Walking Street (Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff)

„Man darf nicht vergessen“, fügt Pascal Schnyder an, „wie der Ort wurde, was er heute ist.“ Fragt man den 55-Jährigen, woher er kommt in der Schweiz, sagt er: „Luzern.“ Doch geboren wurde Schnyder in Südkorea, dann adoptierte ein Schweizer Ehepaar das Waisenkind. Seit 1999 lebt Schnyder in Pattaya; dort führt er das Casa Pascal, ein Restaurant für gehobene Thai- und europäische Küche.

Mit meiner Frau Toey, Michael Beck und Khun Disco (v. l.) im Casa Pascal

„In den 1960er-Jahren war Pattaya ein kleines Fischerdorf“, erzählt der Gastronom, «unweit des Flughafens U-Tapao. Damals ein reiner Luftwaffenstützpunkt, während des Vietnamkriegs hauptsächlich genutzt von der US Air Force, wenn sie ihre mörderischen Flüge gegen Vietnam, Laos und Kambodscha startete. Verwundete oder auch GIs auf Urlaub erholten und entspannten sich in den benachbarten Dörfern am Meer. Pattaya bot einen schönen Strand, der Bombenlärm war endlich mal weit weg. Aber die GIs brauchten auch Entertainment, und dazu gehörten Prostituierte.»

So habe Pattayas Aufstieg zur Entertainment-Metropole begonnen und sich den Namen „Größter Spielplatz der Welt“ verdient. Für Erwachsene, versteht sich. In den letzten 25 Jahren hat sich die Stadt stark verändert. „Ob zum Guten oder zum Schlechten, ist Ansichtssache“, meint Schnyder, „fest steht, dass es mehr und mehr junge Thais in die Stadt zieht, die meisten im Alter zwischen 28 und 38. Sie wollen und können sich etwas leisten.

Thailands meistbesuchtes Ziel einheimischer Familien

Womit wir beim zweiten Image angelangt sind, dem Bild, das sich die Einheimischen von Pattaya machen. Am Muttertag Mitte August 2023 war Pattaya Thailands meistbesuchtes Ziel einheimischer Familien. „Hierzulande sind viele Mütter sehr jung, zwischen 20 und 25 Jahren, sie werden an dem Tag verwöhnt“, sagt Pascal Schnyder, der zur Feier des Tages jedem weiblichen Gast in seinem Restaurant ein kostenloses Glas Prosecco kredenzte. „Der Laden war gerammelt voll, keine Ahnung, ob es nur am Freiglas lag.

Eher nicht. Der Trend ist eindeutig, wie Björn Jahner weiß: „Pattayas aktueller Wandel wurde durch die Pandemie sogar noch beschleunigt. An die Stelle internationaler Besucher rückten damals sowohl junge als auch wohlhabende Inlandstouristen, vor allem aus dem nahen Bangkok, die Pattaya völlig neu kennen und lieben lernten. Weil sie das immer größer werdende Angebot an luxuriösen, hochpreisigen Hotels und Erlebniswelten schätzen, das sich längst nicht mehr hinter Bangkok verstecken muss, wie Beispiele zeigen: Das Grand Centre Point Space als erstes Weltraum-Themenhotel in Thailand; das als Beach und Seafood Club neu konzipierte Hotel A One Royal Cruise und das als Abenteuer- und Wasserpark entworfene Resort Centara Grand Mirage Beach Resort. Alles ist heute etwas schicker und exklusiver als vor Covid-19.»

Hotel A One Royal Cruise (Foto: Homepage)

Im Gegensatz zu westlichen Urlaubern will kein Thai am Strand in der Sonne braten. Wo weiße Haut als schön gilt, ist Bräune entweder schon vorhanden oder keine Option. Dennoch lockt vor allem der drei Kilometer lange Pattaya Beach einheimische Besucher in die Stadt. „Dort picknicken sie in den späten Nachmittagsstunden mit ihrem Nachwuchs“, beobachtet Jahner, „dort gehen sie spazieren, spielen oder lassen Drachen steigen. Am Strand relaxen sie mit Freunden und machen viele, viele Selfies. Auf TikTok wurden 2023 Strandvideos aus Pattaya 128,5 Millionen Mal angeschaut; mehr Aufrufe zählte allein Sydneys Bondi Beach mit über 445 Millionen.

Inzwischen wissen auch immer mehr ausländische Familien das lokale Angebot für Erwachsene und Kinder zu schätzen, wie Jahner betont. Vor allem die Freizeit- und Wasserparks, die nahe Pattaya aus dem Boden schießen: Ramayana Water Park, Columbia Pictures Aquaverse, Pattaya Floating Market, FROST (Snow Wonderland), Underwater World Pattaya, Mini Siam, Nong Nooch Tropical Garden, Legend Siam Pattaya. Auch der Einzelhandel hat sich für Familien mit Kindern gut aufgestellt. In den Kinderwelten zweier Einkaufszentren tobt, klettert und spielt der Nachwuchs gleich auf mehreren Etagen. Gegen Gebühr.

Im überdimensionierten Einkaufszentrum Terminal 21 borgt man sich den Glamour von Paris oder London. Aber es gibt ja noch das Teddy Bear Museum an der Beach Road, das 3D-Museum Art in Paradise, das erstaunliche Sanctuary of Truth und vieles mehr. Wird Pattaya ein Themenpark wie Las Vegas? Die Stadt ist abhängig vom Tourismus, das hat die Pandemie gezeigt. „Und sie hat reagiert“, meint Jahner, «mit vielen Aktivitäten, zum Beispiel mit internationalen Musikfestivals wie Wonderfruit oder Rolling Loud, die Pattayas Image international und lokal auf ein neues Level katapultiert haben.“

Im März 2022 waren wir letztmals in Pattaya, zum Abschluss eines dreiwöchigen Thailand-Trips mit den Stationen Khanom und Koh Phangan.

Geschmack ist Bandbreite. Das gilt erst recht für Pattaya, den perfekten Ort für selektive Wahrnehmung. Hier entscheidet jeder Besucher nach Neigung und Prioritäten für sich, was Realität, was angenehm, akzeptabel oder Schönfärberei ist. Nach früheren Besuchen, meist Geburtstagseinladungen von Freunden folgend, hatte ich eine fast körperliche Aversion gegen die Stadt. Kein Wunder, wenn die immer noch Natur belassene Insel Phangan mein Lieblingsplatz ist. Ein größerer Gegensatz ist kaum denkbar.

Pattayas Identität beruht wesentlich auf einer gelungenen Zielgruppenstrategie: Sex ist hier kein Privileg der Jugend, sondern ein Produkt für alle Altersklassen. Der sehr soziale Ansatz, niemanden auszugrenzen, hat die Stadt reich gemacht. Aber nicht schön. Wenn das Diktat des Profits auf Kosten der Optik geht, sieht es so aus wie im Zentrum Pattayas.

Meine Aversion war daher immer eine ästhetische. Da ist seit Mitte der Siebziger ein Fischerdorf mit wachsendem Gästestrom über sich hinausgewachsen, um nun an vielen Stellen auszusehen wie ein Patchwork mit Wucherungen. Offenbar gingen die Verantwortlichen immer davon aus, dass die treuen Stammgäste Ästhetik für vernachlässigenswert halten. Die Tonne muss nicht schön sein, damit der Wein schmeckt. Immerhin erfüllen einige Hotels, Restaurants und Cafès die Rolle optischer Oasen.

Bild: Die Walking Street von oben.

Zimmer mit Meerblick

Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff

Wie unsere Freunde Disco und Michael, so nächtigten auch wir im Hotel Mercure. Zimmer mit Meerblick hieß es. Das stimmte auch, wenn man den Balkon mit einrechnete. Das Zimmer als solches: tadellos, zum günstigen Preis. Beides galt nicht für das Frühstück (300 Baht). Der Service im Restaurant blieb trotz höflicher Reklamationen miserabel; an einem Morgen mussten wir die Servicekräfte in der labyrinthischen Küche aus ihren Verstecken aufscheuchen.

Wir verließen das Hotel kurz entschlossen einen Tag früher als geplant; die gebuchte, aber nicht in Anspruch genommene Nacht wurde nicht in Rechnung gestellt. Unsere Reklamationen schienen nachvollziehbar.

Pullman G – nachts am Pool unter Palmen (Foto: Kesorn Chaisan)

Wir zogen ins Hotel Pullman G Hotel, direkt am Strand gelegen. Höheres Niveau, höherer Preis, aber dennoch ein Nach-Pandemie-Rabatt: 2500 Baht pro Nacht für ein komfortables Zimmer, Frühstück inklusive. Auf der Fahrt ins neue Quartier kicherte meine Frau vor sich hin und murmelte: „It`s the first time, that they kicked me out of a hotel.“ Nach unserem vorzeitigen Auszug glaubte sie, das Mercure hätte uns rausgeworfen.

Machen wir es kurz: Entspannte Tage im Strandhotel und der Besuch zweier schön gelegener Restaurants im Süden der Stadt veränderten meinen Blick auf Pattaya und seine Möglichkeiten. Nun verstehe ich selbst die Freunde, die aus Bangkok in die Nachbarschaft ziehen. An manchen, nicht unbedingt preiswerten Stellen wirken Landschaft und Immobilien fast mediterran. Das gastronomische Angebot Pattayas ist riesig, die Infrastruktur unstrittig perfekt.

Vieles muss sich bei den Westlern noch herumsprechen, die das eindimensionale Bild vom Sündenbabel stört. Hilfreich wäre es, wenn es künftig weniger Anlass für furchteinflößende Überschriften gäbe. Damit das angestrebte Image greifen kann: Pattaya als moderner, international anerkannter Urlaubsort für wohlhabende Touristen und Familien sowie als Zentrum für Konferenzen, Ausstellungen und Incentives auf höchstem Niveau.

U-Tapao

Der Mensch ist bequem und ich bin es auch. Es gibt Direktverbindungen mit Thai Lion Air nach Chiang Mai. Für den Flug von U-Tapao zu unserem Wohnort zahlten wir 33 Euro pro Person, Gepäck inklusive. Unter solch angenehmen Umständen könnte es selbst für mich zur Option werden, mal für drei oder vier Tage dem Alltag zu entfliehen. In Pattaya. Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern.

Oh wie schön ist Pattaya… (Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff

Mehr zu Pattaya in meinem Blog:

Sanctuary of Truth

Sanctuary of Truth: Die Wahrheit wohnt in Pattaya

Detaillierte Infos zu Pattaya:

Pattaya Reiseführer (ThailandSun)