Eine falsche Höhle und ein Dorf in Myanmar

Spieglein, Spieglein in der Hand (Foto: Juliane Kowollik)

„The cave“, so sagte man mir, da sollte ich unbedingt hin. Eine hochinteressante Meditationshöhle, am besten zu erreichen per Boot Richtung Norden, Richtung Mandalay. Also miete ich mir die „Ruby“ mit Bootsmann und Bootsjunge, Vater und Sohn Opiempu (so habe ich den Namen des aufgeweckten 12-Jährigen verstanden).

Fotos Faszination Fernost/B. Linnhoff

An den Ufern des Ayeyarwady (Irrawaddy) bekomme ich mehr vom Alltag der Burmesen mit als in den Tagen zuvor an Land.

Fotos Faszination Fernost/B. Linnhoff (4), Juliane Kowollik (4)

Nach etwa einer Stunde legen wir an, der Fußmarsch die Dünen hinauf endet zunächst unter zwei Tamarindenbäumen. In deren Schatten sitzen je etwa 30 einheimische Männer und zocken. Eine Art birmanisches Roulette. Im Sand liegt ein Rindsleder, darauf eingezeichnet Felder mit den Piktogrammen von Kuh, Pferd, Fisch, Schlange etc., vor den Spielern kleine und größere Bündel Kyat-Scheine, die sie auf eines der Felder bzw. Haustiere setzen.

Der Bankhalter hält einen Würfel, mit den Piktogrammen der Tiere statt Zahlen, der Würfel in der Mitte penetriert von einer Art Zahnstocher. Auf einem Teller dreht der Bankhalter mit dem oberen Ende des Zahnstochers zugleich auch den Würfel, Haube drüber und ab dafür. Wenn der Würfel gefallen ist, schauen alle gespannt nach dem oben angezeigten Piktogramm. Kuh.

Wer mit der Kuh Schwein gehabt hat, sieht sein Bündel Scheine wachsen, der Rest der Einsätze geht an die Bank. Die dort ragenden Kyat-Berge belegen: Die Bank gewinnt immer, auch in den abgelegensten Ecken Myanmars. Nebenbei:  Zuschauen durfte ich, fotografieren nicht.

Mit Teelichtern in den temple of darkness

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Es werde Licht (Foto: B. Linnhoff/Faszination Fernost)

Also weiter durch den Sand zur „cave“. Doch mein Tippgeber und der Bootsjunge scheinen unterschiedliche Vorstellungen von einer Höhle zu haben. Wir landen vor einem der 2238 Tempel der Region, und da wir schon mal da sind, will ich zumindest innen den ebenerdigen, rechteckigen Rundgang machen. Dazu bekommt Opiempu von der Tempelwächterin zwei Teelichter in die Hand gedrückt, eins reicht er mir. Denn, Überraschung, der Umlauf ist komplett dunkel.

Ich bleibe dicht hinter dem Jungen, sehe nur das kleine Licht flackern, sonst nichts. Dann sagt er: Mind your step. Ich schaue nach vorne unten und knalle im selben Moment mit der Stirn gegen die Decke, die sich nach unten verjüngt. Dadurch achte ich nicht auf die Stufe am Boden und schieße in die Nacht. Mein Teelicht ist aus.

Fotos Faszination Fernost/B. Linnhoff

Der Gang wird immer niedriger, die Orientierung habe ich bereits verloren. Dann stehen wir vor einer dunklen Öffnung, Opiempu fällt auf die Knie, nun geht es auf allen Vieren weiter. Wohin? Wie weit? Nun verfalle ich tatsächlich in tiefe Meditation, vielleicht ist es doch die Höhle, nach einer Sekunde steht die Entscheidung: Bis hierhin und nicht weiter. Platzangst, Schnappatmung, geordneter Rückzug statt schäbiger Kriecherei, und dann sind wir wieder beim Buddha an der Tür.

Fertigmachen zur Zeitreise

Foto: Juliane Kowollik/Faszination Fernost

Eine weitere halbe Stunde Fahrt brauchen wir bis zum Beginn unserer Zeitreise. Zurück, weit zurück. Wir gehen in ein Dorf, wie es sie heute noch zu Tausenden in Myanmar gibt. Kein Strom, kein fließendes Wasser. Kein Fernseher, viele Kinder daher.

Fotos Faszination Fernost/B. Linnhoff (6), Juliane Kowollik (2)

„Ich fotografiere lieber die Reichen und Schönen“, hat der große Helmut Newton gesagt, „Arme zu belichten, finde ich zynisch.“ Die Erwachsenen grüßen freundlich, die Kinder umringen mich. Ich belichte digital. Bin ich nun zynisch?

Den Kindern sind digitale Kameras nicht völlig fremd, sie schauen nach der Aufnahme sofort zum Display. Der erste Ausländer bin ich hier nicht, aber immer noch die Ausnahme.

Ein Mann mit Sonnenbrille sitzt unbeweglich mit gekreuzten Beinen in einer Hütte, schaut in Richtung Fluss. Er erinnert mich an den alten Picasso. Pantomimisch frage ich ihn, ob ich ihn fotografieren darf. Keine Reaktion. „He has no eyes“, sagt Opiempu. Der Mann ist blind.

Er hat keine Augen (Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff)

Wenige Minuten nach meiner Rückkehr ins Hotel beginnt ein tropisches Gewitter, begleitet von heftigen Hagelschauern. Wie mag es jetzt in Dorf am Hang aussehen?

Bagan 1 –  Flug ins Reich der Tempel
Bagan 2 – Orwell, die Hitze, das Zweirad und die Stupas
Bagan 3 – Muskelkater bis zum Sonnenuntergang
Bagan 5 – Auf Wiedersehen, Myanmar!