Leseprobe: Gordon Blue und Wiener Schnitzler

Seit dem Erscheinen meines Buches „Thailand unter der Haut“ im Dezember habe ich von den Leserinnen und Lesern positive bis begeisterte Reaktionen erfahren. In deutschen Medien wurde es bereits mehrfach besprochen, so in dieser Woche ausführlich im TV-Magazin Prisma (s. Foto links). Für die, die sich noch ein Bild von Inhalt und Stil machen möchten, hier als Leseprobe ein Kapitel, das ich außerordentlich vergnügt geschrieben habe: Speisekarten in Thailand.

Kapitel 19: Fuck the duck und die Verdauung des Faultiers

I believe I can fry: Im ganzen Land erfreue ich mich an kreativ gestalteten Speisekarten. Für die Einheimischen ist es schwierig genug, die Namen der Gerichte aus der Thai-Schrift in lateinische Buchstaben zu übertragen.

Stammgast in vielen Menüs ist der „Gordon Blue“, der siamesische Zwilling des Cordon Bleu. Eher selten trifft man auf den „Wiener Schnitzler“. “Roast, Steam, Scald”heißt es auf einem Schild, vorsichtshalber zunächst auf Englisch. Doch die deutsche Übersetzung steht direkt darunter: „Braten, Dampf, Verbrühung“. Da greife ich doch lieber zum „Sanwichse Pork-Ham-Tuna-Chicken“. Meinen Favoriten allerdings entdeckte ich unter chinesischen Schriftzeichen in englischer Übersetzung: „Fuck the duck until exploded“. Auf der Speisekarte für den Nachwuchs gab es statt des Kindertellers ein „deep fried baby“.

Braten, Dampf, Verbrühung

Erstaunlich divers gestalten sich die Preise. Unter der Überschrift „All you can eat!“ sah ich auf einer Tafel: Girl 265 Baht, Ladyboy 280 Baht, Boy 295 Baht, Kinder und Kaninchen 150 Baht. Das Schild „Ab sofort Dominasteine!“ habe ich allerdings in Deutschland entdeckt, es fehlte nur die Aufforderung: Sitz! Friss!

Ende der 1980er Jahre gab es in Bangkok noch deutlich mehr Bordelle als Fast Food Restaurants. Kentucky Fried Chicken (KFC) eröffnete den ersten Shop bereits 1970, gab ihn jedoch bald wieder auf. Das ersteMcDonald’s-Restaurant öffnete 1985 an Bangkoks Siam Square, das zweite im Silom-Viertel. KFC folgte mit einem weiteren, diesmal erfolgreichen Versuch. Warum, so fragten sich  Expats und Touristen, sollten die Thailänder eine amerikanische Restaurantkette unterstützen, wo sie doch schon das beste Grillhähnchen der Welt essen konnten, aus heimischer Produktion?

Wann je passte westliche Logik zur thailändischen? Mit der freundlichen Übernahme durch amerikanische Invasoren begann eine neue Epoche in der kulinarischen Historie des Landes. In kürzester Zeit machten die Fastfood-Anbieter thailändischen Kindern und Eltern die ganze Fülle des American Lifestyle schmackhaft. In den ersten Monaten kam manch neugierige Familie zu McDonald`s, bestellte vier Cola und setzte sich für anderthalb Stunden ans Fenster. Um den Landsleuten draußen zu zeigen: Wir können uns den Ami leisten!

Es wäre zu simpel, allein Junkfood dafür verantwortlich zu machen, dass heute 32 Prozent der Thais als übergewichtig gelten und neun Prozent als fettleibig. Beides schien  vor drei Jahrzehnten unvorstellbar. Mit dem Einkommen wuchsen Mittelschicht und Kaufkraft. Im Zusammenspiel mit weniger Bewegung und angeborener Esslust führte das dazu, dass viele Thais heute mit ähnlichen Gewichtsproblemen kämpfen wie ihre Zeitgenossen im Westen. Wobei der Begriff  „kämpfen“ diskutabel erscheint, denn zur Lust kommt die Sucht. Nach Zucker. Laut Statistik verzehren Thais mit ihren Speisen und Getränken täglich sechs Teelöffel Zucker. Als die Donut-Kette „Krispy Kreme“ eine Filiale im Einkaufszentrum Siam Paragon eröffnete, reichte die Warteschlange von Bangkok fast bis nach Ayutthaya.

Zwar steigt die Nachfrage nach vegetarischem oder veganem Essen und mit ihr das Angebot, doch genutzt wird es vorzugsweise von Ausländern. Die meisten Thais kaufen ihr Gemüse immer noch beim Metzger. An einer Garküche in Chiang Mai sah ich das Schild: Vegetarische Suppe. Ich zeigte auf das Schild und bestellte eine. Die Verkäuferin entfernte das Schild und empfahl eine Nudelsuppe mit Huhn.

Reale Sorgen mache ich mir um Thailands Esskultur erst, seit ich immer mehr Einheimische sehe, wie sie Augen und Hände selbst dann nicht vom Handy lassen können, wenn das Essen schon auf dem Tisch steht. Da haben sich Prioritäten verschoben. Manche lassen beim Essen die Kopfhörer auf den Ohren oder legen Gabel und Löffel zur Seite, um schnell etwas zu texten. Neunzig Prozent der Thais, fand die Versicherungsgruppe AIA heraus, zeigen ungesunde Essgewohnheiten.

In einer immer komplexeren Welt scheint Essen auch in Thailand der schnellste und preiswerteste Weg zu sein, das Belohnungszentrum im Hirn zu grüßen. Erst recht, seit wir dank der allgegenwärtigen Lieferdienste nicht mal mehr die Wohnung verlassen müssen, um Restaurant-Qualität zu genießen.

Allem Umfang wohnt ein Zauber inne. „Wenn ich auf meinen Bauch hören würde, käme ich gar nicht mehr zum Arbeiten“, verriet mir ein beleibter Tourist aus Franken im Old German Beerhouse. „Weißt du, wie ausgewogene Ernährung aussieht?“ „Sag`s mir.“ „Zwei Nürnberger Bratwürste in jeder Hand.“ So langsam müssen wir uns auch von der Vorstellung verabschieden, wonach Essen der Sex des Alters sei. Viele Touristen und auch Einheimische lassen keinen Zweifel daran, dass Essen schon in jungen Jahren sehr sexy sein kann.

Der Zapfhahn mag das Wappentier der Säufer sein, die Nimmersatten hingegen haben das Faultier gewählt. Es bewegt sich zwar so langsam, dass in seinem Fell Algen wachsen, ist jedoch in der beneidenswerten Lage, mit jedem Verdauungsgang ein Drittel seines Körpergewichts auszuscheiden. 

Respekt.

Gesehen in Bangkok (Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff)