Am Silvesterabend 2007 schaute ich vom 20. Stock des JC Tower auf Bangkoks Skyline. Ich war in der Stadt, um mit Freunden auf dem Balkon meines Freundes Hartwig das alte Jahr zu verabschieden, und sehr müde. Biorhythmus und Stoffwechsel lagen Hand in Hand erschöpft in der Ecke. Für den dringend notwendigen Urlaub hatte ich – zusammen mit meinem Freund und Kollegen Oliver – zwei Wochen Thailand gebucht. Vier Tage Hauptstadt und danach Runderneuerung auf den Inseln im Süden.
Silvester also schaute ich auf Bangkok. Ich sah die Lichter, ich ahnte Abenteuer. „Was zahlst du für deine 100 Quadratmeter an Miete?“, fragte ich meinen Gastgeber. „Wie hoch sind die Lebenshaltungskosten in diesem Land? Du lebst hier seit zwanzig Jahren – was gefällt dir, was nicht?” Die Antworten gefielen mir. Dann fragte ich mich selbst: Was wäre, wenn? Ich war 59 Jahre alt und ohne Anhang – die beste Basis für spontane Entscheidungen. In diesem Moment wanderte ich aus. Mental schon mal.
Jahreswechsel im Taxi

Eine Stunde vor Mitternacht beschlossen wir Urlauber, den Jahreswechsel in der Diskothek CM2 im Novotel am Siam Square zu feiern. Mitten im Zentrum, super Idee. Die Alteingesessenen blieben auf dem Balkon und lächelten nachsichtig. Wir hingegen genossen wenig später das Privileg, beim Countdown und zu Jahresbeginn im Taxi zu sitzen und im Stau zu stehen.

Gegen ein Uhr erreichten wir den Club. Drei Stunden später lotste mich ein Taxi, pilotiert von einer sympathischen Fahrerin, zu meinem Amari-Hotel in der Petchaburi Road. „Was hast du noch vor“, fragte ich meine Chauffeuse. „Nichts“, sagte sie, „auf mich wartet niemand. Und du?“ „Auf mich auch nicht.“
Das neue Jahr fing gut an.
Mit der Bahn gen Süden
Am 2. Januar stiegen Thailand-Novize Oliver und ich an Bangkoks Bahnhof Hua Lamphong in den Zug gen Süden. Über Hua Hin fuhren wir nach Chumphon, von dort setzten wir mit der Fähre über zu den Inseln im Golf von Thailand. Nun absolvierte ich meinen allerersten Thailand-Trip von 1994 in umgekehrter Reihenfolge: Koh Tao, Koh Phangan, Koh Samui. Eigentlich wollte ich die Zeit und die Ruhe nutzen, meinen intuitiven Auswanderungsentschluss mit dem Verstand abzugleichen. Für einen solchen Schritt brauchen die meisten Menschen Monate, wenn nicht Jahre. Doch ich war mir sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Zudem hatte mein Verstand unterwegs das Schild „Bitte nicht stören“ rausgehängt.
Koh Tao 2008 (Fotos: Faszination Fernost/B. Linnhoff)
Als wir nach Bangkok zurückkehrten, bat ich Hartwig, mir eine Wohnung zu besorgen.
Mein Turm in Thonglor

Dass ich als Frischling mit Hartwig Schüler und den German All Stars ein vielfältig aktives und tragfähiges Netzwerk vorfinden würde, zeigte sich schnell. Im JC Tower, wo er selbst wohnte, fand Hartwig ein Apartment für mich: 110 qm, drei Zimmer, zwei Bäder, großer Balkon. Wir würden Nachbarn sein, ein Vorteil bei allen möglichen Problemen, die oft mit dem Start in der Fremde verbunden sind. Mein neues Domizil lag im 19. Stock, mit Blick auf die Skyline.
Im Juli 2008 flog ich erneut in Thailands Hauptstadt und unterschrieb den Mietvertrag. Claudio Conversi hieß mein Vermieter, Italiener und seit zwanzig Jahren Betreiber der beliebten Pizzeria „Bella Napoli“ in der Sukhumvit Road Soi 31.
Anlässlich meines Bangkok-Kurzbesuchs blieb noch Zeit für einen Wasserski-Nachmittag vor den Toren Bangkoks. Dabei lernte ich einige Mitglieder der German All Stars kennen. Noch fremdelte ich.
Fotos: Timo Stiegler
Die Hausaufgaben
Zurück in Deutschland, erledigte ich die Hausaufgaben: Abmeldung beim Einwohnermeldeamt, Kündigung der Versicherungen und des Mietvertrages für die Wohnung, Beschaffung des passenden Visums und Verkauf des sportlichen Autos.
2 Bemerkungen
Dieter Ludwig:
Lieber Bernd, bewundere Dich, mit 59 ein solches Abenteuer begonnen zu haben. Ich hätte vielleicht in Frankreich leben können, das hängt mit meiner Beziehung zu den Galliern zusammen, in der Schule Französisch gehabt, in Kehl an der Grenze zu Frankreich die Schule besucht, täglich mit dem Fahrrad nach Straßburg geradelt, erste große Liebe eine Französin, wie das eben so ist. Aber dann wäre auch immer das französische Sprichwort in mir wie ein Merkwort aus dem Kalender zu lesen gewesen, das da lautet: “ Partir, c`est mourir un peu…“ Aber Du hast alles wohl anscheinend richtig gemacht. Freue mich für Dich. Nicht jeder Ausgewanderte kann so etwas von sich behaupten oder über sich sagen lassen, wünsche Dir weiter eine wunderbare Zeit, bleibe hoffentlich corona-verschont,
beste und herzliche Grüße Dieter
Antwort Bernd
Lieber Dieter, dass ich für mein Leben die richtige Entscheidung getroffen habe, ist zweifelsohne so. Das gilt bis heute, auch wenn sich Thailand verändert hat und in einer schwierigen Phase befindet. Danke für deine Zeilen, bleib auch du vom Virus verschont, Herzliche Grüße, Bernd.