Immer mehr lateinamerikanische Klänge in der Hauptstadt

“Mitreißende Musik und ein eklektischer Stilmix”, jubelten die Experten, als das “Flamenco” seine Pforten öffnete. Eine “Sky Bar Lounge” nach eigener Einschätzung, beheimatet im neunten Stock des EM-Quartier. Um Missverständnissen vorzubeugen: Das EmQuartier ist nicht etwa das Hauptquartier der nächsten Fußball-Europameisterschaft, sondern ein Einkaufszentrum in Bangkok. Sehr gut zu erreichen, weil es direkt an der BTS/Skytrain-Station Phrom Phong liegt.

Hereinspaziert

Nun müssen wir nur noch klären, was “eklektisch” bedeutet. Ich habe das Wort immer mal wieder gehört oder gelesen, gefallen hat es mir nie. “Nur Ideen, Stilelemente anderer verwendend; unschöpferisch”, heißt es dazu bei Google. Hört sich nicht an wie ein Kompliment und soll auch keins sein.

Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff

Dennoch sind wir mit der Defintion ziemlich nah am Ambiente des “Flamenco”. Andererseits: Was spricht dagegen, wenn ein Interior Designer, der vor Jahren noch Inneneinrichter hieß, auf Bestehendes zurückgreift und das Rad des Designs nicht neu erfinden will?

Foto: Bangkok Post

In Thailands Hauptstadt setzen inzwischen einige Bars auf Latino-Rythmen und optische Reminiszenzen an Lateinamerika. Das “Flamenco” sticht heraus, weil es sich in seinem unschöpferischen Stil-Mix nicht auf Linie bringen lässt. Da explodieren die Farben und jeder Gast murmelt “Respekt!”, wenn er die ausgesprochen mutige Auswahl der Möbel verdaut. Goldgerändert, mit rotem Samt ausgeschlagen und auf weißbeigen Perserteppichen ruhend, datieren die Stühle und Sofas vermutlich aus der verschnörkelten Ära Gustav des Anrüchigen (um 1750).

Neben Tanz-Motiven (Flamenco!) grüßt Mexikos größte Malerin Frieda Kahlo von der Wand – nichts passt hier wirklich zusammen oder alles. Mir gefällt das. Ich mag es unperfekt, knallig oder auch üppig, manchmal gar grell, da bin ich schon ein wenig Thai geworden.

Fotos Faszination Fernost/B. Linnhoff

Da es keinen Stil gibt, auf den man sich einigen könnte, gewinnt in diesem wogenden Farbenmeer jeder Gast einen ganz eigenen, zwangsläufig sehr persönlichen Eindruck. Der Redakteur der Bangkok Post verstieg sich zu der Einschätzung, das Gesamtensemble im „Flamenco“ entspräche, nehmt alles nur in allem, der Einrichtung eines Anwesens der spanischen Oberklasse. Da wird die Sonnenbrille auch im Haus zur Pflicht. 

Im “Flamenco” trifft Spaniens Küche auf Südamerika und das in der gehobenen Preisklasse – schließlich ist dieser Laden mehr als ein Restaurant. Wir bestellten Empenadas (Teigtaschen), Seafood Ceviche und Paella; im Gegensatz zum exzentrischen Ambiente eine in Teilen biedere, aber durchweg schmackhafte Wahl. Der Genuss wurde nur unwesentlich getrübt durch die niedrigen Tische, dank derer wir uns vor jedem Bissen verbeugen mussten. Am Nebentisch priesen unsere Nachbarn in hohen Tönen ein Tenderloin-Steak aus Argentinien (1.290 Baht), auch die Beilagen kamen nicht ohne schwärmerische Kommentare davon: das Walnuss-Chimichurri und selbst das Kartoffelpüree.

Die Getränkeliste verlangt vom Gast beeindruckendes Wissen und Entscheidungskraft. Tequilas unterschiedlichster Provenienz, fünf Sorten Margeritas, Gin, der Zuckerrohrschnaps Cachaca, eine riesige Auswahl an Scotch (der einstöckige startet bei 340 Baht) und auch der Klassiker unter den Latin Drinks fehlt nicht: ein gut gemeinter Peruanischer Pisco Sour (380 Baht).

Wer es noch ein wenig stärker mag, bestellt den Reposado Fashion, einen Mix aus Olmeca Gold Tequila, Wodka, Angostura Bitter (Wikipedia: ein Cocktailbitter, der neben Enzianwurzel auch Bitterorange, Gewürznelken, Kardamom, Zimt und Chinarinde enthalten kann – so lernen wir auch beim Saufen dazu). Abgerundet wird der Cocktail durch einen Schuss Ingwer. Der sorgt dafür, so erklärte mir ein erfahrener Trinker, dass man sich auch nach dem dritten Reposada Fashion immer noch gesund fühlt. “Allerdings”, fügte der Mann hinzu, „das Gefühl täuscht.“

Zum Abschluss das Wesentliche. Naiverweise war ich davon ausgegangen, dass in einer Bar namens “Flamenco” ausschließlich Latino-Musik geboten wird. Flamenco sowieso, aber auch kubanische Salsa, Calypso aus Trinidad vielleicht, Merengue und Reggaeton. Ganz falsch lag ich mit meiner Einschätzung nicht, denn als wir hereinkamen, lief Salsa vom Band, wunderbar. Die Live-Band danach aber spielte die Bee Gees und andere Oldies.

Schade genug, dachte ich, auch wenn die Klasse der Musiker und Sängerinnen über jeden Zweifel erhaben war. Leider musizierten und sangen sie so laut, als müssten sie aus der Höhe des neunten Stocks auch die Leute im Erdgeschoss erreichen. An manchem Tisch sah es nach Streit aus, weil sich die Gäste anbrüllten – dabei wollten sie nur ein Gespräch führen.   

Warum werde ich auf jeden Fall wiederkommen? Weil ich die Atmosphäre im “Flamenco” mag und das Essen auch. Beim nächsten Mal werde ich allerdings besser vorbereitet sein. Das Live-Programm wechselt jeden Tag und daher kann sich jeder den Abend aussuchen, der seinem Musikgeschmack entspricht: Swing, Jazz, gemischt oder eben reinrassige Latino-Rhythmen. Die werden von den Bands gespielt, die Hobby-DJ und Weltmusik-Experte John Clewley in seiner Story für die Bangkok Post mit soviel Sympathie und Kenntnis vorstellt.

Fotos: Faszination Fernost/B. Linnhoff, Facebook-Seite “Flamenco”

Die Latino-Szene Bangkoks ist noch klein, wächst aber beständig. Schon seit einigen Jahren gehört die Bar “Havana Social” in der Sukhumvit Road/Soi 11 dazu. Auch sie findet in diesem Blog statt:

Havana Social – ein Fleckchen Kuba in Bangkok
Bouhonero Clandestino Band im “Flamenco” (Foto Flamenco/Facebook)