Asiens Legenden kommen in die Jahre
“Sir!”, sagt der Mann in der weißen Uniform sehr bestimmt, “ich darf Sie darauf aufmerksam machen, dass wir nicht gerne ungefragt fotografiert werden. “Sorry”, sage ich verwundert und schaue auf die gelbe Schützenschnur über der rechten Brust und auf die schwarze Schärpe. Wenn schon nicht Ausstellungsstück, so scheinen mir die Pförtner am Raffles-Hotels in Singapur doch Teil einer forcierten Inszenierung, die den kolonialen Charme der Nobelherberge einfrieren soll.
Wann wird Nostalgie skurril?
Ein bisschen Botox? Ein Schuss Collagen? Oder doch gleich der operative Rundschlag mit Skalpell? Südostasiens 5-Sterne-Hotellegenden kommen in die Jahre. Das Mandarin Oriental in Bangkok, das Eastern & Oriental in Penang und das Raffles eben. Alle blicken auf mehr als hundert Jahre Erfolg zurück. Aber Alter allein ist kein Verdienst, ich weiß das von mir.
Die Frage ist: Wie rettet man Ambiente und Atmosphäre der britischen Kolonialzeit hinüber in eine digitale Moderne, eine manchmal virtuelle Realität? Geht das überhaupt? Die heutigen Eigentümer versuchen es jedenfalls.
Das Mandarin Oriental, über Jahrzehnte die Nr. 1 der Welt, schenkte sich zum 140. Geburtstag ein Facelifting. Eine geglückte Generalüberholung, fand ich bei meinem Besuch. Ich genieße es, durch die Salons zu wandern, die den Literaten mit Fernweh gewidmet wurden: W. Somerset Maugham, Rudyard Kipling, Noel Coward, Graham Greene. Sie alle schlugen auch im Raffles auf. Wie später Marlon Brando, Elizabeth Taylor, John Lennon und Michael Jackson.
Aber was kann die nächste Reisegeneration mit diesen Namen anfangen und was mit kolonialem Charme?
13 Stockwerke hoch ist der neue Flügel des Eastern und Oriental Hotel auf der malaysischen Insel Penang. Das Restaurant im neuen Teil heißt “Sarkies”, zu Ehren der vier armenischen Brüder, die 1887 das Hotel bauten. Zwei Jahre später schufen sie auf einem sandigen Strandstück Singapurs die nächste gastliche Stätte: Eben das Raffles, benannt nach Sir Thomas Stamford Raffles, dem Entdecker und Gründer Singapurs.
Die Immobilie allerdings steht heute, ohne sich auch nur einen Meter gerührt zu haben, mitten im Stadtstaat; überragt von jüngeren Wolkenkratzern, der Ozean ist nur zu ahnen. Wie üblich in Singapur, wurde das Meer nach und nach mit Sand aufgeschüttet, um buchstäblich Land zu gewinnen.
Ein Hoch auf Ngiam Tong Boon
Legenden brauchen Zeit zur Reife, Hotels können Geschichte schreiben und Geschichten. Weltläufige Schluckspechte kennen Ngiam Tong Boon und halten ihn in Ehren. 1915 erfand der chinesische Bartender in der Long Bar des Raffles den Singapore Sling. Da die Rezeptur des fruchtig-aromatischen Cocktails nicht überliefert wurde, hier die heutige Version laut Raffles:
3 cl Gin, 1,5 cl Cherry Brandy, 1 ½ BL Triple Sec (im Raffles: Cointreau), 1 ½ BL Bénédictine, 1 cl Grenadine oder Granatapfelsirup, 1,5 cl Limettensaft, 1 Dash (Spritzer) Angosturabitter und 12 cl Ananassaft im Cocktail-Shaker auf Eis geschüttelt und in ein mit Eiswürfeln gefülltes Gästeglas abgeseiht (Quelle: Wikipedia).
Auf der Suche nach der Rezeptur des Erfolgs
Kein noch so berühmter Drink hält ein Hotel am Leben; auch die Beförderung zum “Nationalen Denkmal” 1987 war mehr Image- als Wachstumstreiber. Ausstellungen, hochkarätige Shows und Shops gehören längst zum modernisierten Konzept des Raffles, doch auch Entertainment und Merchandising bleiben flankierende Maßnahmen.
Renovierung 2017 in drei Phasen
Ab 2017 ging es um mehr, um die Existenz nämlich. Das Raffles wurde in drei Phasen renoviert, beginnend mit den Einkaufsarkaden. Es folgten Lobby und Hauptgebäude, ehe das Hotel Ende des Jahres komplett geschlossen wurde, um die 103 Suiten in Angriff zu nehmen.
“Nach unserer reichen Historie schlagen wir ein neues Kapitel auf”, sagte Diana Banks, Vize-Präsidenten von Raffles Brand, “und nach einer sensiblen Überarbeitung bieten wir unseren Gästen das, was sie erwarten und schätzen.” Doch was ist das konkret?
Vielleicht die gelungene Verschmelzung von Herkunft und Zukunft. Das jedenfalls hoffen Südostasiens Hotellegenden. Um als Klassiker der Moderne in einem knüppelharten Wettbewerb zu bestehen.
Alle Fotos: B. Linnhoff/Faszination Fernost
Update 8. August 2019: