Das dunkle Erbe des “Secret War”
Du spazierst über den Nachtmarkt von Luang Prabang im Norden von Laos, er wirkt noch farbenfroher und vielleicht sogar stiller als andere Märkte in Südostasien. Und dann stolperst du über Handgranaten, Torpedos und Flugzeuge. Geschrumpft auf das Format Schlüsselanhänger. Da paaren sich im geschmolzenen Metall Horror, Galgenhumor und Pragmatismus. Denn die Schmuckstücke waren mal Schrott. Bombenschrott, born in the USA.
Barack Obama kannte das dunkle Erbe seines Landes; im September 2016 war er der erste US-Präsident, der Laos besuchte. Späte Genugtuung für langes Leid.
Fotos Faszination Fernost/B. Linnhoff
Denn Laos ist nicht nur eines der ärmsten Länder der Welt, es ist auch das meist bombardierte pro Kopf. Wie wird ein geopolitischer Zwerg Zielscheibe einer Weltmacht? Während des Vietnamkrieges fanden die Vietcong beim laotischen Nachbarn Unterstützung und Unterschlupf. Die Antwort der USA: Plattmachen, das Land. Wobei “Land” immer auch die Menschen meint.
Der “Secret War” der USA von 1964 bis 1973 war ein Krieg der CIA – vorbei am ahnungslosen US-Kongress.
“Ravens”, Raben nannten sich die Piloten, die in ihre B-52 stiegen. In Jeans, den Cowboyhut auf dem Kopf und eine CIA-Giftkapsel um den Hals. Alle acht Minuten im Schnitt sonderten sie eine komplette Ladung ab. 24 Stunden am Tag, neun Jahre lang. 270 Millionen Streubomben laut US-Nationalarchiv. Zehn Tonnen pro Quadratkilometer, 500 kg Sprengstoff für jeden Mann, jede Frau, jedes Kind.
Jede Streubombe enthielt 900 Sprengkörper von der Größe eines Apfels. Noch in der Luft platzten die Torpedos auf “wie ein Sack Konfetti” (Zitat Süddeutsche Zeitung), und die fatale Fracht entlud sich über Reisfeldern, Dörfern, Wäldern.
80 Millionen “Bomblets” blieben zurück, vor allem in der “Ebene der Tonkrüge” in Nordlaos. Die Blindgänger töteten seit Ende des Krieges mehr als 20 000 Laoten, darunter mindestens 8000 Kinder. Sie treten gerne mal gegen die farbigen “Tennisbälle” oder stoßen bei der Feldarbeit mit der Schaufel drauf. Wie im Juni 2016 ein kleiner Junge namens Viet: Es machte Bumm. Er verblutete auf dem stundenlangen Fußweg zum Hospital.
Die Zahl der Schwerverletzten ist nicht bekannt, ihr Überleben reines Leiden. Denn selbst Familie und Freunde deuten Verstümmelungen als mieses Karma, als Strafe für Sünden in früheren Leben.
Erst Obamas Besuch machte den geheimen Krieg wieder zum Gesprächsthema. Wen interessierten schon Detonationen im fernen Laos? Die sanften Menschen dieses Landes haben unter ihrem sozialistischen Hardcore-Regime wenig zu melden; ihre Fähigkeit, aus dem Wenigen das Beste zu machen, hat Tradition – und taugt manchmal zur ironischen Pointe.
Schon 1976 begannen laotische Bauern, das Restmetall der Bomben einzuschmelzen und in Haushaltsgeräte umzudeuten. Aus Torpedos wurde Baumaterial. Im Laufe der Dekaden kamen Motive hinzu wie Elefanten, Gitarren, Schwalben, Delfine etc. Heute kann auch ich, welch ein Fortschritt, auf dem Markt ein Bömbchen erwerben, in der alten Königsstadt Luang Prabang eben. Dort liegen auf weichem Tuch die makabren Devotionalien, gefertigt aus einstigen Schrappnellen. Mein Wohnungsschlüssel wird nun von einer Eierhandgranate bewacht.
Dropped and made in Laos
Mag sein, dass auch Obama den Bombenschmuck schon kannte. Denn Diamantenarmbänder, Ketten und Ohrringe aus Geschützteilen waren bereits begehrte Artikel am Rande der New Yorker Modewochen. Beschriftet mit herzigen Botschaften wie “Love is the bomb” and “Dropped + made in Laos”. Fabriziert von laotischen Kunsthandwerkern, verkauft in fast 40 Ländern.
Ein Verdienst des Brooklyn-Unternehmens Article 22, benannt nach der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UN. Mitgründerin Elizabeth Suda trägt Laos im Herzen. 2010 startete sie zusammen mit lokalen Künstlern und der Schweizer Nichtregierungsorganisation (NGO) Helvetas das “Peacebomb”-Projekt. Frei nach dem Motto “Make Art, not War – buy back the bombs!”
Seither hat Article 22 mit Designerschmuck zur Entminung von rund 65.000 Quadratmetern Land in Laos beigetragen. Der Erlös aus dem einfachsten Armband entmint drei Quadratmeter, eine Kette zum Preis von 1.250 US-Dollar befreit 78 qm vom explosiven Sondermüll.
Und 2016, 43 Jahre nach Kriegsende, leisteten auch die USA ihren Beitrag zur Entsorgung eines zynischen Erbes. Der amtierende Präsident Obama sicherte der laotischen Regierung 90 Millionen US-Dollar zu, um in den folgenden Jahren zig Millionen Blindgänger entschärfen zu können.
Endlich kann nun auch Houmphan Chanthavong seinen Kummer und die ewig köchelnde Wut begraben. “Bisher haben die USA so getan, als hätte es diesen Krieg nie gegeben”, sagte der 64-Jährige aus Luang Prabang der Bangkok Post, “aber Obama hat diese Tatsache nun öffentlich anerkannt.” Mit 43 Jahren Verzögerung.
Das Unternehmen Article 22: Die Homepage
14. 11. 2008: Story im “Spiegel“: Der Geheime Krieg – die CIA baute im Dschungel die zweitgrößte Stadt in Laos
4. 9. 2017: Story in “The Big Chilli”: America’s ‘Secret War’ and the bombing of Southeast Asia
9. 5. 2023: The secret underground city the US tried to bomb out of existence (The Sydney Mornng Herald)
7. 12. 23: Mother of Five Killed by UXO (The Laotian Times)
Video: The CIAs Covert War In Laos (Youtube/52:36 min)