MIt dem Longtailboot in die Vergangenheit

 

Wie bekomme ich ein Gefühl für Bangkok, wenn ich das erste Mal in der Stadt bin? Es kann nur einen Weg geben: den Wasserweg. Denn Thailands Hauptstadt wurde am und im Wasser geboren. Am Sathorn-Pier unter der Taksin-Brücke setzen wir uns in ein Longtailboot und knattern los. Queren die Wellen des Chao Praya und nehmen Kurs auf die Kanäle am Westufer, die Khlongs von Bangkok Yai, auf Deutsch „Großes Bangkok“. Eine Erinnerung an einstige Größe – heute liegt das „große Bangkok“, das Zentrum der Metropole, jenseits des Ufers gegenüber. Nach etwa einem Kilometer auf dem großen Fluss biegen wir ein in die Kanäle.

Eine andere Welt

Foto: Faszination Fernost/B. Linnhoff

Eine Tour durch das komplexe Spinnennetz aus künstlich angelegten und natürlichen Wasserwegen führt uns 50 Jahre zurück. Die Khlongs dienen immer noch als Transportweg für Menschen und Waren innerhalb der Stadt. Aus dem Betondschungel der Hauptstadt wird bei unserer Fahrt schnell ein schmaler Korridor durch Teakhäuser auf Stelzen, alte buddhistische Tempel, Bananenplantagen, durch einfachste, notdürftig zusammengezimmerte Unterkünfte auch, halb verdeckt von der Wäsche, die draußen trocknet. Alle Khlongs füttern letztlich den Chao Praya.

Foto Faszination Fernost/Juliane Kowollik

Frauen mit lampenschalenförmigen Strohhüten warten auf uns, bieten Nudelsuppen zum Kauf oder ein gekühltes Singha-Bier. Aus dem trüben Nass gewinnen die Anwohner Bade- und Kochwasser. Die Bewässerung eigener Gärten am Ufer fällt leicht, solange keine große Echse Ansprüche aufs Revier anmeldet. Auf unserer Tour dringen wir ein in ein Paralleluniversum, wo das Siam des 18. Jahrhunderts auf das Thailand des 21. Jahrhunderts prallt.

Der portugiesische Priester Fernao Mendez Pinto gebrauchte den Begriff „Venedig des Ostens“ als erster, 1554, in einem Brief an die katholischen Ordensgemeinschaft Gesellschaft Jesu in Lissabon. Doch Pinto meinte nicht Bangkok, sondern Ayutthaya, Siams Hauptstadt damals, auch sie von Kanälen durchzogen und von Flüssen umgeben. Zweihundert Jahre später, 1769 genau, nach einem desaströsen Krieg gegen Burma, verlegte König Taksin der Große die Hauptstadt von Ayutthaya ans rechte Ufer des Chao Praya, nach Thonburi.  Die Bezeichnung „Venedig des Ostens“ sollte lange ein Synonym für Bangkok bleiben und gilt auch heute noch mit Einschränkungen.  

Venedig des Ostens (Foto: Faszination Fernost/Angelika Bruchhagen)

1782 verlegte Taksins Nachfolger Phutthayyotfa die Hauptstadt ans andere Ufer, nach Rattanakosin, wo umgehend der Königspalast und der Wat Phra Kaeo erbaut wurden. Aus Phutthayyotfa wurde der erste König der Chakri-Dynastie; sie begann mit Rama I. und sieht seit Mai 2019 Rama X auf dem Thron.

In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg bauten Ingenieure die ersten Brücken über den Chao Praya und füllten zugleich die Kanäle, betonierten sie zu Straßen, auf denen sich seitdem die Autos stauen. Heute fehlen die Kanäle vor allem dann, wenn viel Wasser aus Thailands Norden den Chao Praya auf seinem Weg zum Golf von Thailand speist. Da sind keine Khlongs mehr, in die sich die Wasserwalze ergießen könnte – das Wasser steht in den Straßen der Stadt.

Joe Cummings ist seit mehr als zwei Jahrzehnten in Bangkok heimisch und führte schon Mick Jagger durch die Stadt. Als Autor des ersten „Lonely Planet“-Bandes über Thailand war Cummings wesentlich daran beteiligt, dass das Königreich zu einem der populärsten Urlaubsziele der Welt wurde. „Von oben betrachtet“, schrieb der Amerikaner über die Khlongs, „ähnelt die Welt der Kanäle einem buddhistischen Mandala, dem kreisförmigen Diagram, entworfen von buddhistischen Künstlern als Objekt der Meditation.“ Von unten betrachtet, fällt Meditation schwer – die Motoren der Boote vermitteln das zeitgemäße Gefühl für Bangkok, dort ist es vor allem laut.

Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff

Musik im Video: Baba Ulli/World Set

Unterwegs mit Boot oder Schiff in meinem Blog:

Bangkok: Auf dem Fluss der Könige
Thailand: Mit dem Katamaran in den Andamanen
Unterwegs in Laos: Buddhas Höhlen am Mekong
Myanmar: Magische Tage im Mergui-Archipel
Myanmar: Bagan – Zeitreise mit der Ruby