San Sokkay, U Win, Che, Yai: Die unbekannten Dienstleister

San Sokkay vor seiner Arbeitsstätte (Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff)

“Schön warm heute, oder?” Sokkay haut die Frage raus, als hätte er seit Jahren keine andere gestellt. Auf Deutsch. Dabei ist es heute nicht nur warm bei den Tempeln, sondern heiß. “Wie schon zuvor erwähnt”, fährt unser Führer nach kurzer Pause fort, “war es König Suyarvaman der Zweite, der Angkor Wat erbaute.”

Sokkay San – oder korrekter San Sokkay, denn in Kambodscha steht der Familienname voran – arbeitet dort, wo andere staunen. Er geleitet deutschsprachige Touristen durch die Anlagen von Angkor Wat, Angkor Thom, Banteay Srey. Für uns ist das Areal nahe Siem Reap eines der Wunder dieser Welt, für den Mann mit der hohen Stirn und dem offenen Lächeln historischer Alltag.

Sokkay bei den Götter-Wächtern auf dem Weg zu Angkor Thom (Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff)

Natürlich hätte ich einen gedruckten Reiseführer lesen oder Angkor Wat im Netz googeln können, um mehr zu wissen über diese tausend Jahre alte hinduistische Kultstätte. Doch manchmal lausche ich lieber einem ortskundigen Experten, zumal der antworten kann, wenn ich eine Frage habe. Und manchmal macht es dann Klick zwischen Guide und Gast. Dann mäandert das Gespräch über Ruinen und Geschichte hinweg ins Private. Der Mensch hinter dem Fremdenführer erscheint. Erzählt von sich, von seiner Familie, seinem Land.

In diesen Momenten frage ich mich: Was wissen wir eigentlich von unseren Guides?

Es brennt nahe Mandalay

Guide U Win in Mandalay (Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff)

Was wussten wir schon von U Win, der uns zu den Sehenswürdigkeiten von Mandalay chauffierte und am nächsten Tag zum Flughafen, zum Rückflug von Myanmar nach Thailand. Links der Schnellstrasse, in etwa zwei Kilometern Entfernung, stieg Rauch auf über niedrigen Dächern. Wo Rauch, da Feuer, dachte U Win und griff nervös zum Handy. Ein kurzes Telefonat, dann entspannten sich seine Gesichtszüge wieder. Damit hätten wir es belassen können. Doch neugierig fragten wir: “Ist was passiert?” “Es brennt, aber wohl nicht in unserer neuen Siedlung”, antwortete U Win, “ich habe dort gerade mit meiner Frau ein Haus bezogen.”

So erfuhren wir zumindest, dass der freundliche und stets umsichtig fahrende Burmese verheiratet war und stolzer Hausbesitzer. Wir nahmen es als Indiz, dass der Tourismus seinen Mann ernähren konnte. Noch ahnten wir nicht, dass das Militär den Tourismus in diesem geplagten, wunderschönen Land später einmal mehr zur nutzlosen Erinnerung machen könnte.

Guide Udaya in Sri Lanka (Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff)

In Sri Lanka hatten wir die Stadt Kandy gerade verlassen, als es zu massiven Streitigkeiten kam zwischen Hindus und Muslimen. Udaya, unser Führer, wurde unruhig. “Was ist los?”, fragten wir. „Ich bin Hindu“, sagte er, „und mit einer Muslimin verheiratet. Sie ist nun allein in unserem Haus.“  Ohne die Nachricht von den Unruhen hätten wir vom privaten Udaya nie erfahren. Warum fragen wir nicht öfter?

Charmantes Schlitzohr in vier Sprachen

Am anderen Ende der Welt, in Santiago de Cuba, gerieten wir an Che. Mag sein, dass ihn seine Eltern in Anlehnung an Revolutionär Ernesto “Che” Guevara so getauft hatten. Doch Che ist in Kuba ein durchaus geläufiger Jungenname, die Kurzform von José. Freund Oliver und ich saßen in einer Bar und lauschten der allgegenwärtigen einheimischen Musik, die längst die Welt erobert hat: Rumba, Son, Salsa, Bachata. Da bog Che um die Ecke und fragte, ob er sich zu uns setzen könnte.

Der Bengel war 19 Jahre jung und sprach vier Sprachen. Spanisch natürlich, Italienisch, Englisch und Französisch. Alle hatte er gelernt, ohne jede Aussicht, sein Land auf legalem Weg verlassen zu können. Eine reife Leistung für einen jungen Mann. Wie immer litt Kuba auch zur Zeit unseres Aufenthalts unter Mangelerscheinungen aller Art, von Sonne, Musik, Rum und Sex einmal abgesehen. “Nur Tourismus bringt Devisen”, erklärte Che, “also habe ich alles auf diese Karte gesetzt.”

Foto: Bernd Linnhoff

Che entpuppte sich als smartes, schlagfertiges, charmantes Schlitzohr. Eines Tages bat er uns zu sich nach Hause. In einem Innenhof stiegen wir die Stufen hoch zu zwei weitgehend offenen Zimmern. In einem führte eine kleine Leiter hoch zu Ches Bett, darunter hingen Hosen und Hemden. Im anderen Raum kochte seine Frau, 18 Jahre jung und hochschwanger. Vor den beiden Zimmern, im ersten Stock also, wartete ein Schwein in einem kleinen Stall grunzend auf Silvester, das Schlachtfest zum Jahreswechsel. “Wenn es gut läuft im Job”, meinte Che, “können wir im nächsten Jahr mit unserem Kind umziehen.”

Eine Woche später, wir hatten nach einer Autofahrt quer durchs Land die Hauptstadt Havanna erreicht, liefen wir in der Altstadt nahe der Kathedrale in Che hinein. Wir lachten, er grinste. Die etwa 40-jährige Touristin an seiner Seite stellte er uns als seine dänische Freundin vor. Auch diese Konstellation ist nicht ungewöhnlich in Kuba. Der Frau war die Situation entsetzlich peinlich. Che nicht so.

Bangkok, Patpong

Bei meinem ersten Bangkok-Trip empfahl mir der Mixologe in der Hotelbar: “Schau dir auch Patpong an. Da dominiert zwar das Rotlicht, aber es gibt auch erstklassige Livemusik. Mein Freund Yai kann dir die Orte zeigen.”

Yai heißt Groß, doch mein Guide hatte bei 1,58 Metern das Wachsen eingestellt. Aber er kannte sich aus. Wir hörten einige ausgezeichnete Bands, bevor wir auf sein Drängen hin die Bar FireCats anpeilten. Eine steile Treppe führte zum Eingang im ersten Stock. Auch dort gab es Liveshows, aber von anderer Qualität. Wir setzten uns in die Nähe der Bühne, die erste Show trug den Titel: “Pussy shoots balloons.“

Eine kaum bekleidete Dame schoss liegend absolut treffsicher Dartpfeile aus der Hüfte auf Luftballons. Beziehungsweise aus einer dafür nicht prädestinierten Öffnung unweit der Hüfte. Yai drehte der Darbietung den Rücken zu, während mein Nachbar zur Linken deutlich aufgeregter war. „I never saw something like that“, bekannte der und stellte sich vor: „I`m Lucas from Australia, but everybody calls me Beaver.“ Der Biber also. Vermutlich seiner starken Vorderzähne wegen.

Ich überspringe einige Nummern bis zum Höhepunkt, der “Magic Razorblade Show”. Eine furchteinflößend schöne Frau legte sich auf den Boden und zog aus bereits erwähnter Öffnung quälend langsam sieben Rasierklingen, die alle am selben seidenen Faden hingen. Neben mir knirschte es. Vor lauter Aufregung hatte der Biber ins Bierglas gebissen. „A nightmare“, presste er zwischen den blutenden Lippen hervor – ein Albtraum. Zu meiner Rechten sah ich nur noch den schmalen Rücken meines grußlos verschwindenden Führers Yai. Am Arm die Dame, die den bunten Abend mit Dartpfeilen eröffnet hatte. SIe war, wie ich später erfuhr, Yais Gattin. Deshalb hatte er nicht hingeschaut. Und der Barkeeper, der mir Yai empfohlen hatte, war der Bruder der Frau, mithin Yais Schwager.

Siem Reap: Besuch bei Sokkays Familie

Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff

In Kambodscha, in Siem Reap hatten wir nach einigen gemeinsamen Touren Freundschaft mit Sokkay geschlossen. Warum, mag sich mancher fragen, ist es so speziell, wenn ein Khmer deutsch spricht? Vielleicht hilft es, die Khmer-Sprache geschrieben zu sehen:

Auch Sokkay sah seine Zukunft im Tourismus. Der gelernte Polizist erkämpfte sich die deutsche Sprache, in Wort und Schrift, in lateinischen Buchstaben. Ich spreche, du sprichst, er spricht. Mit leuchtenden Augen behauptete er: “Ich liebe diese Sprache.” Wir alle kennen Geliebte, die leichter zu erobern sind. Eines Tages lud er uns nach Hause ein. Mit gerade mal dreißig Jahren war er bereits Vater von drei Kindern und, auch er, stolzer Hausbesitzer.

San Sokkay und Hea Hoy (Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff)

Für die Kinder ist es einfach”, sagte meine Frau Toey auf dem Weg zum Kaufhaus, “aber was schenken wir deiner Frau?” “Das müsst ihr wissen!”, beschied uns der Gatte. “Aber du kennst deine Frau, wir nicht!” “Ich sage nichts.” So kaufte Toey schliesslich eine Tag- und eine Nachtcreme. Kosmetik geht immer, dachte sie. “Gut so!”, sagte Sokkay.

Und dann haben wir doch ein wenig gefremdelt, wir Touristen von einem anderen Stern und Sokkays liebe Familie. Seine reizende, zunächst scheue Frau Hea Hoy versuchte im Beipackzettel zu ergründen, warum es Cremes gibt für den Tag und für die Nacht. Ein Besuch reicht halt nicht, um sich kennenzulernen. Doch Sokkay war glücklich: “Ihr habt meiner Familie und mir mit eurem Besuch gezeigt, dass ihr uns schätzt.

Eine glückliche Familie in Siem Reap (Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff)

Auch heute noch senden wir uns gelegentlich Mails. Auf meine Frage “Wie geht es dir und deinen Lieben?” antwortet Sokkay stets: “Mach dir keine Sorgen. Alle sind schön! Herzliche Grüße, dein Freund und meine Familie.”