Trend mit Zukunft: Das Königreich als Küche für die Welt

Salat mit Langfühlerschrecken (Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff)

Wegspringen oder gar von der Gabel fliegen konnte das Tierchen nicht mehr, es war tot. Nun war es an Klaus, die Extrameile zu gehen, aber im Sitzen. Seine Aufgabe, von uns allen erwartungsfroh begutachtet, war mit dem Begriff Erlebnisgastronomie nur ungenügend beschrieben: er sollte aus seinem Salat die hausgemachte gebratene Grille in den Mund nehmen, schmecken und schlucken. Die Echten Grillen (Gryllidae) gehören zur Familie der Insekten und dort zu den Langfühlerschrecken (Ensifera), so sehen sie auch aus. Wobei wir nicht erkennen konnten, ob es die Fühler waren, die ihn zögern ließen, oder gar die Beine.

Khun Disco und ich hatten schon mal, alkoholisiert und eher als Mutprobe, spät nachts in der Soi Cowboy ein paar Mehlwürmer, Zitronengrasgrillen und Seidenwürmer verdrückt und mit Bier in den Verdauungstrakt gespült. Für Klaus aber war es eine neue Erfahrung und nüchtern war er auch noch.

Wir saßen im Bangkoker Restaurant “Insects in the Backyard”, dem laut Eigenwerbung “Ersten Speiselokal für essbare Insekten”, gelegen auf der Westseite des Chao Phraya, im Stadtteil Thonburi. Unnötig zu erwähnen, dass Klaus der Herausforderung gewachsen war. Ungeduldig warteten wir auf sein Urteil, bevor wir uns selbst unseren Krabbelgerichten widmeten. “Knusprig“, sagte Klaus, da blieb geschmacklich immer noch Interpretationsspielraum.

Ceviche mit Ameiseneiern (Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff)

Ich bestellte Ceviche mit Ameiseneiern, zum ersten Mal, ein Genuss. Auch Disco hatte es nach eigenem Bekunden gut getroffen mit seiner “Pasta mit Mehlwürmern”, mit Larven vom gelben Mehlkäfer (tenebrio molitor), die ihrerseits am liebsten Weizenkleie fressen.

Pasta mit Mehlwürmern (Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff)

Nachdem wir die Fesseln des Ungewohnten einmal gesprengt hatten, wunderten wir uns nicht mehr, dass Insekten schon lange fester Bestandteil des thailändischen Speiseplans sind, beliebt auch in den Nachbarländern. Es gibt sie auf Messen und Ausstellungen, in Supermärkten und Onlineshops. Und das ist nicht nur eine Frage von Geschmack oder lokalen Vorlieben.

Insektensnacks

Sechs Ernten im Jahr

Zwei Milliarden Menschen essen Insekten, vor allem in tropischen Regionen, aber durchaus nicht nur in Asien. Die kleinen Biester haben längst die Nische verlassen, in der sie lange aus ethischen und kulturellen Gründen verweilten. Viele Insekten sind nicht nur knusprig, sondern auch reich an Vitaminen, Proteinen, Ballaststoffen oder Mineralien. Im Gegensatz zu Kühen oder anderen Nutztieren braucht ihre Haltung kaum Platz. Bis zur Ernte wachsen sie anderthalb bis zwei Monate heran, so dass bis zu sechs Ernten im Jahr möglich sind, jede kann 80 bis 100 Kilogramm frischer Grillen produzieren. Manchmal werden die Grillen mit Kürbissen gefüttert, nicht mit ganzen natürlich, dann schmecken sie besser.

Fotos Faszination Fernost/B. Linnhoff

Wer hätte schon gedacht, dass die Milch von Kakerlaken viermal nahrhafter ist als die von Kühen und dass ausgerechnet diese ungeliebten Haustiere künftig das Superfood überhaupt liefern? Mehr als 20.000 Farmen in Thailand züchten inzwischen Grillen, Die Landwirte profitieren von einem Trend, dem zufolge international die Nachfrage nach Heuschrecken, Grillen und anderem Getier als Nahrungsquelle steigt.

Restaurants wie das Don Bugito in San Francisco, Brooklyn Kitchen in New York oder das Sternelokal Aphrodite in Nizza haben sich bereits mit Insektengerichten einen Namen gemacht. Bis 2030 rechnen die USA mit einer Nachfrage von 3,3 Mio. Tonnnen Insekten (Umsatz: 9,2 Mrd. Dollar) bei jährlichen Zuwachsraten von etwa 28 Prozent; ähnliches Wachstum wird in der EU, China und Japan erwartet. Thailands Bauern hoffen, dass zugleich die Nachfrage nach Rindfleisch, dem größten Konkurrenten, sinkt. Was eigentlich nur eine Frage der Zeit sein müsste – nach Angaben der UN Organisation für Nahrung und Agrarwirtschafteine trinkt eine Kuh 15.000 Liter Wasser für ein Kilo Fleisch. Wo bleibt da die Verhältnismäßigkeit unter den Aspekten Klimawandel und Umweltschutz?

Insects in the Backyard gibt es nicht mehr

Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff

Während wir Farangs die Insekten von der Speisekarte fingen, hatte nur eine Person am Tisch überhaupt keinen Appetit auf Kleinvieh. Toey tanzte aus der Reihe und bestellte humorlos ihr Leibgericht Spaghetti mit Meeresfrüchten.

Vor einigen Wochen wollten wir das mit Fleisch fressenden Pflanzen dekorierte Restaurant ein zweites Mal besuchen. Erst da erfuhren wir, dass es das Insects in the Backyard nicht mehr gibt. Es wurde nicht etwa von wütenden Heuschrecken kahlgefressen, sondern fiel dank fehlender Einnahmen der Covid-Pandemie zum Opfer.

Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff