Trauung auf Lanna-Art

Illustration: id

Heiraten ist Big Business in Thailand. Auch Touristen tauschen im Königreich die Ringe. Romantische Hochzeit am Strand. Heiraten mit Robinson-Feeling. Der Bund fürs Leben nach buddhistischem Ritus. Auch wir würden heiraten, Toey hatte genickt. Wir schauten noch einmal in die Kataloge. Kann man sich etwas Schöneres vorstellen als eine Unterwasser-Hochzeit? Auf jeden Fall. Meine Partnerin wünschte sich eine traditionelle Zeremonie im Lanna-Stil. Zivilrechtlich völlig unverbindlich, aber pittoresk. Eine Zeitreise zugleich, denn das Königreich Lan Na (Land der Millionen Reisfelder) im Norden Thailands erlebte seine Blüte im 15. Jahrhundert. Die Hauptstadt hieß – Chiang Mai.

Hätte ich gewusst, welche Rolle dem Bräutigam bei der Zeremonie zufiel, hätte ich mein Einverständnis vielleicht noch einmal gewürfelt. Unwissenheit kann ein Segen sein. Doch es kommt immer der Tag, an dem du weißt.

Der große Tag: Antanzen zur Zeremonie

(Leicht gekürzter Auszug aus Kapitel 28)

Oh, East is East, and West is West, and never the twain shall meet.

Rudyard Kipling
Nach Lanna-Art: Früher war mehr Opulenz

Die Ringe waren gekauft. Wir studierten einschlägige Internetseiten, um das günstigste Datum für den Hochzeitstag herauszufinden und böse Omen auszuschließen. Ling tok ton mai sagt man in meiner Wahlheimat: Selbst Affen können vom Baum fallen, wenn sie nicht aufpassen. Es dürfte das landestypische Pendant sein zu unseren Pferden vor der Apotheke. Auf die Gegenwart von Mönchen verzichteten wir. Sie müssen in ungerader Zahl gebucht werden, fünf Robenträger sollten es mindestens sein. Wer einmal mit eigenen Augen gesehen hat, wie Mönche mit Tragetaschen voller Scheine in eine Bank marschieren und das Tempelkonto aufladen, weiß, dass ihr Segen ins Geld gehen kann.

Hochzeitsbilder werden in Asien schon vor der Zeremonie geschossen, damit sie am großen Tag bereits an den Wänden hängen. Mit einem professionellen Fotografenteam fuhren wir zum Rajapruek Park am Rande Chiang Mais, zwei Kleider-Garnituren im Gepäck: Lanna-Stil/europäischer Stil. Zuvor wurde meine Partnerin hingebungsvoll geschminkt, ich auch. Toey sah wundervoll aus, ich wie immer.

Bei gerade mal 37 Grad schwitzten wir völlig entspannte vier Stunden im hinreißend schönen Park und hatten dabei so viel Spaß, dass Beobachter meinen konnten, wir nähmen den eigentlichen Anlass nicht ernst. Er war ja auch noch sechs Wochen entfernt. Doch so langsam sickerten erste, immer noch grobe Details durch, was meine Rolle betraf. Eine Woche vor der Trauungszeremonie wusste ich genug, um fortan zu schlafen wie ein Säugling: Keine Nacht durch.

Nach einigen wertvollen, aber endlichen Beziehungen war ich über Jahrzehnte organisch ins Sternzeichen Single hineingewachsen. Doch unter Thailands Sonne schmelzen selbst hartnäckige Überzeugungen dahin. Auch für Toey sollte es die erste Ehe sein. Mit 45 ungewöhnlich spät nach thailändisch-konventioneller Vorstellung. Frauen, die mit 25 Jahren noch nicht verheiratet sind, gelten Traditionalisten als liederlich, vorsichtig ausgedrückt. Toey hatte diese Konvention stets standhaft ignoriert.

Alle Kinder stellen dieselben Fragen. Aber ein thailändisches Mädchen, im buddhistischen Glauben aufgewachsen, erhält andere Antworten als ein katholisch erzogener, von westlichen Werten geprägter deutscher Junge. So trafen mit Toey und mir zwei Universen mit einer je eigenen Realität aufeinander. Was bedeutete es, wenn wir uns in einer Sprache unterhalten mussten, die nicht unsere jeweilige Muttersprache ist? Die Erfahrung lehrt, dass Missverständnisse schon dann unvermeidlich sind, wenn man in derselben Sprache aneinander vorbeiredet.

Auch nach 14 Jahren spreche ich immer noch kein Thai, ich neige mein Haupt in Scham. In der Grammatik ist die thailändische Sprache simpel. Es gibt nur das Präsens, keinen Plural, und die Personalpronomen werden oft auch noch weggelassen. Aber als tonale Sprache lebt sie von sensiblen Akzentuierungen, von feinen auf- und absteigenden Tonlagen oder auch der tonlosen Mittellage. Ein Beispiel muss genügen. Der Satz “Das frische Holz ist nicht verbrannt, oder?“ wird auf Thai mit den unterschiedlichen Akzenten über dem a gesprochen:

mái mài mâi mâi châi măi.

Und jetzt du.

Vom Hören lauter Rockmusik sind meine Ohren so verwöhnt wie geschädigt. Ich höre die unterschiedlichen Tonlagen nicht, kann sie daher auch nicht sprechen. Und seit ich mal, bei einem gut gemeinten Versuch, durch verrutschte Aussprache eine Mutter zum Pferd erklärt habe, bin ich noch vorsichtiger geworden. Es ist so verdammt leicht, sich im Ton zu vergreifen. Ich habe einige gemischte Hochzeiten erlebt, bei denen der Mann die Pflicht fühlte, ein paar Worte in der Landessprache an die Festgemeinde zu richten. Vor einigen  Jahren saßen wir im Freien, am Ufer des Mekong nahe Udon Thani, und der dänische Bräutigam wechselte ins einheimische Idiom. Plötzlich schauten die thailändischen Hochzeitsgäste einander entsetzt an und rutschten kollektiv unter die Tische. Als sie später wieder hochkrabbelten, fragten wir: Was hat er denn gesagt?

Es stellte sich heraus, dass sich der junge Mann beim Brautvater für das Geschenk seiner wundervollen Tochter bedanken wollte. Doch dank ungewollter Lautverschiebung hatte er sich für die „wundervolle Pussy“ bedankt. In diesem Moment schwor ich mir, kein Wort Thai zu sprechen, sollte ich je heiraten.

Der große Tag ist da

Teakhaus im Kulturzentrum Monfai

In der Nacht vor der Hochzeit schliefen Toey und ich in einem original Lanna-Teak-Haus auf dem Gelände des Kulturzentrums. In einem Zimmer mit wenig Auslauf; eine Flucht der Braut oder eine Entführung in letzter Sekunde stand nicht zu befürchten. Die Klimaanlage, justiert bei erfrischenden 18 Grad und nicht auszuschalten, beeindruckte mit ihrem Geräuschpegel. Gegen sechs Uhr morgens war ich mir sicher, dass ich der Braut beim Jawort etwas husten würde.

Um 6.45 Uhr musste Toey beim Stylisten antreten, draußen vor dem Zimmer. Die Prozedur endet in Thailand erst dann, wenn auch das letzte Fleckchen natürlicher Schönheit tapeziert ist und die Frisur an chinesische Panzer erinnert. Irgendwann wurde auch ich geschminkt, ein Hauch von Lipgloss inklusive. „Warum bei mir nur fünf Minuten?“, fragte ich den Make-up-Artisten. „Länger hätte nichts gebracht.“

Prolog im Chaos

Alle Hochzeitsgäste, so hatten wir es uns gewünscht, sollten traditionelle Kleidung tragen. Ab 7.45 Uhr tröpfelten die Freunde aus Bangkok, Singapur, Seoul und Deutschland ein, um in die gemietete, traditionell blaue Kluft der thailändischen Bauern umzusteigen. Danach sahen alle aus, als trügen sie den siamesischen Landmann in ihrem Erbgut.

Chaos (Foto: Klaus Hoeltzenbein)

Meine Braut musste zur finalen Einkleidung 50 Meter durchs freie Gelände laufen. Nur mit einem Handtuch bekleidet und dank Turmfrisur mit erhöhtem CW-Wert. Im einzigen Umkleideraum sah es inzwischen aus, als bereiteten sich die Kölner Funkenmariechen auf eine Mottoparty vor.

Wo will sie mit meiner Hose hin? (Foto: Klaus Hoeltzenbein)

Um acht Uhr schaltete ich in den Fatalismusmodus. In der anschwellenden Flut der Gefühle nahm ich mir vor, den Ablauf der drohenden Zeremonie nicht entscheidend zu stören.

Als ich mich umschaute, war meine Braut verschwunden.

Alle wollen Geld sehen

Wie jeder Bäutigam, so musste auch ich der versammelten Gemeinde mit der Mitgift meine wirtschaftliche Potenz demonstrieren. Später würde die Mitgift zur Bezahlung der Feierlichkeiten dienen, zunächst aber wollten alle Geld sehen. Also trugen Freunde und Verwandte an diesem Morgen unsere Ringe sowie eine ansehnliche Anzahl Tausend-Baht-Noten, gebettet auf Blätter vom Bananenstrauch, bei Windstille durch das Terrain. 

Auftritt Vorsänger. Er klang, zumindest für europäische Ohren, nach liebeskrankem Pfau und rief etwas wie „Hiaouuuuuu“, worauf wir in ähnlicher Tonlage einstimmten.

Hiaouuuuuu

Fortan war ich auf mich allein gestellt. Um meine Zukünftige wiederzusehen, musste ich drei menschliche Schranken passieren, Toeys Freundinnen und Freunde. Jeweils zwei spannten ein dünnes Seil; eine Sperre, die ich, wie einst im Lanna-Reich, per Mautgebühr überwinden würde. Überreicht in Briefumschlägen, wie bei halbseidenen Vorgängen üblich, und die Höhe der Spende so bemessen, dass die Schranken auch wirklich hochgingen.

Die dritte Barriere wartete mit deutlich erhöhtem Schwierigkeitsgrad. Zunächst musste ich meine Liebe bekunden; so laut, dass es jeder hören konnte, um später bei Zuwiderhandlung als Zeuge gegen mich anzutreten. So rief ich denn, und es fiel mir enorm schwer, es ist doch eine intime Äußerung: I love you!

Falsche Sprache.

Neuer Versuch, auf Thai: Pom rak khun!!!

Zu leise.

Dritter Versuch, gebrüllt. Die Braut, sie war inzwischen wieder aufgetaucht, saß vor der Bühne und schien amüsiert. Das Fußvolk kippte vor Vergnügen nach links und rechts weg.

Im Glauben, den rituellen Hindernislauf hinter mir zu haben, atmete ich tief durch. Zu früh. Die Schrankenwärterinnen Toy und Myna teilten mir mit, dass ich den Rest des Weges zur Bühne tänzelnd zurückzulegen hätte, begleitet von populären Thai-Klängen. Als erklärter Gegner des Antanzens lehnte ich höflich, aber bestimmt ab. Es war hohe Zeit, auch mal ein westliches Element in den Ablauf einzubringen: Widerspruch. Was einige Irritation auslöste.

Aber hey – this is Thailand! Die Situation löste sich auf in Gelächter, und ich gesellte mich gemessenen Schrittes zur wartenden Braut.

Erst später erfuhr ich, dass Tänzeln zu jeder thailändischen Hochzeit gehört. Die Bewegungen sollten möglichst intensiv ausfallen, da der Bräutigam den Gästen damit seine Vitalität vermittelt. Bei eher kraftlosem Tänzeln kann es durchaus sein, dass Zuschauer dem Mann einen Krückstock hinterherwerfen. Der landestypische Humor tendiert gelegentlich zum Rustikalen. Manche Bräutigame beweisen ihre Fitness dadurch, dass sie einen Flamingo mimen und fünf Minuten lang auf einem Bein stehen.

Weit mehr als Folklore

Endlich saß ich neben der Braut. Wir tauschten die Ringe. Ein bewegender Moment, weit mehr als Folklore, für Toey, für mich, für alle Anwesenden. Wir dankten Verwandten und Freunden für ihre Liebe und Unterstützung. Anschließend trat der eigentliche Zeremonienmeister in Aktion, ein Mann von der Universität Chiang Mai und einer der letzten, die noch eine Trauung nach Lanna-Art vollziehen können. Er sprach mehrere Minuten, stärkte unsere Verbindung mit einem weißen Band um unsere Handgelenke, das buddhistische Symbol für Reinheit und Schutz.

Ich verstand kein Wort, war aber nun, so wurde mir versichert, Lanna-verheiratet. Im Auditorium blieb es still in diesen Minuten. Besonders bei Toeys Freundinnen floss manche Träne. Danach schnürten auch die Gäste weiße Bänder um unsere Handgelenke, damit unser freundschaftlicher Bund noch enger und nachhaltiger werde. Welch schöne Geste!

Was wäre eine Feier ohne Reden? Vor allem kürzer. Aber auch weniger unterhaltsam. Freund Disco schilderte zum Vergnügen der Zuhörer, wie Toey und ich uns kennengelernt hatten und welche Rolle Whisky dabei spielte. Toeys Freundin Tukki hingegen war, auf Thai natürlich, offensichtlich sehr gefühlvoll unterwegs, ich sah das Glänzen in den Augen meiner frisch Angetrauten. Als ich Tukki dankte, flüsterte sie mir unter Tränen ins Ohr: „Khun Ben, take good care of Toey, she´s a good woman.“

In diesem Satz steckte viel Thailand. Für die Thais zählen Taten mehr als Worte. „I take care“ wiegt schwerer als der Satz „I love you“, mit dem wir Westler so gerne in den Ring steigen.

War das Werfen des Brautstraußes schon zu Lanna-Zeiten Usus? Zahllose Damen zeigten im Ringen um die beste Position ihre Bereitschaft, möglichst schnell gefreit zu werden. Toeys erster Versuch geriet zum Flachschuss; der Strauß wurde leichte Beute der vorne platzierten Jang. Daher einigten sich die Damen auf eine Neuauflage, mit einer Gegenstimme von Jang. Toey feuerte das Objekt nun so entschlossen in die Menge, dass sich Einwickelpapier und Strauß im Flug trennten. Ausgerechnet Paeng fing die Blumen, sie nahm nahezu außer Konkurrenz teil, ihr Hochzeitstermin stand bereits fest. Tukki hingegen fing das Einwickelpapier.

Ganz und gar Lanna waren zum Abschluss Tanz, Musik, Pantomime. Engagiert und mit sehr individuellem Erfolg versuchten wir, die großen Fußstapfen unserer professionellen Vortänzer auszufüllen.

Was sonst noch geschah: Bilderbogen eines langen Tages

Zwei wichtige Themen habe ich im Hochzeitskapitel ignoriert: Essen und Party. Dazu und zur Atmosphäre im Monfai-Kulturzentrum in Chiang Mai einige Momentaufnahmen eines an- und aufregenden Tages, der erst in der Nacht in unserer Bar endete.

Sechser mit Steuermann