Pop Art is for everyone
Als Andy Warhol diese Porträts im September 2020 von mir produzierte, war er schon lange tot. Den Gag aber hätte er gemocht. War er doch – wie die Warhol-Ausstellung in Bangkok – Beweis dafür, dass sein Werk lebt. Und das war der Gag: Jeder Ausstellungsbesucher konnte sich im River City Bangkok posthum im Warhol-Stil porträtieren lassen. Ganz im Sinne des Meisters: Die Vervielfältigung ist wichtiger als das singuläre Objekt. Da ich vergaß, die Maske abzunehmen, wurde es ein Warhol-Porträt in den Tagen von Covid-19.
Er gab dem Banalen Glanz und dem Glamour Tiefe
„Dieses Projekt wird getragen von Hoffnung und Zuversicht“, sagte Linda Cheng, Geschäftsführerin des Kunsthauses River City Bangkok, „Kunst bereichert unseren Geist und nährt unsere Seele. Als Andy Warhol sagte: Pop Art ist für jeden da, wollte er ein Zeichen geben, dass Kunst jedem zugänglich sein sollte, nicht nur einer Elite.“
Zwei Jahre dauerte die Vorbereitung der Ausstellung in Bangkok. Kunsthändler Gianfranco Rosini stellte mit 128 Originalobjekten seine komplette Sammlung zur Verfügung – der Italiener hatte schon mit 13 Jahren begonnen, Werke von Warhol zu sammeln. Nun brachte er seine Exponate dankenswerterweise nach Thailand.
Zu normalen Zeiten hätten sich nun Tausende gedrängelt, um das Werk eines Mannes zu besichtigen, der die Kunst der Moderne massiv beeinflusste. Stattdessen hieß das Gebot der Stunde „Abstand halten“ – nur wenige Interessierte durften sich zeitgleich auf immerhin 900 Quadratmetern bewegen. Schade genug. Denn was wir sahen, verdiente ein volles Haus.
Warhol sah die Zukunft voraus
„Andy sah die Kunst in allem und war enthusiastisch wie ein Kind bei allem, was er tat. Wenn er mit seiner Polaroid ein Bild von sich selbst machte, machte er ein Foto von der Zukunft, in der jeder ein Bild von sich machen würde, jeder auf eine Bühne wollte, auf eine Leinwand, ein Foto, das Cover eines Klatschmagazins. Andy sah ihn kommen, all den Hype um das Berühmtsein. Und er trug dazu bei, dass es so kam.“
Grace Jones
Foto: Andy Warhol mit Joseph Beuys 1980 (Bild aus der Ausstellung in Bangkok)
Die Sprache der Zeichen
Bevor Warhol berühmt wurde, war er längst ein anerkannter Werbegrafiker, Illustrator und Künstler. Schon 1962 bekam er in Los Angeles mit den Campbell’s Soup Cans seine erste Einzelausstellung. Dafür produzierte er 32 fast identische Bilder, weil es die Suppenkonserve in 32 verschiedenen Geschmacksrichtungen gab (Quelle: Wikipedia).
Warhol-Exponate in Bangkok
Die Bilder trafen auf totales Unverständnis. Nur fünf Käufer erkannten die revolutionäre Neuerung in Warhols Sichtweise; einer von ihnen war der Schauspieler Dennis Hopper. Keiner der Käufer erhielt sein Bild, für das jeder 100 Dollar bezahlt hatte, weil Galerist Irving Blum in Absprache mit Warhol das Ensemble zusammenhalten wollte und nach der Ausstellung komplett für 100.000 Dollar kaufte, obwohl Warhol nur 1.000 Dollar gefordert hatte.
1996 wurden sie für 15 Millionen Dollar an das Museum of Modern Art in New York City veräußert.
New York: Zentrum des künstlerischen Universums
„I`ll never write my memoirs“, lautet der selbstironische Titel der Autobiographie von Grace Jones. Die jamaikanische Sängerin und Schauspielerin, selbst Stil-Ikone der exzessiven Disco-Ära rund ums Studio 54, widmet Wegbegleiter Warhol ein ganzes Kapitel. Es ist so klug und so gut beobachtet – deshalb einige (gekürzte) Zitate:
„Als Andy nach Manhattan kam, fühlte er sich als Außenseiter. Er war immer noch dabei herauszufinden, wer er war und wo sein Platz war. In den Sechzigern und Siebzigern war New York das Zentrum des künstlerischen Universums, The Factory das Zentrum des Zentrums und Andy der Mann im Zentrum des Zentrums. In seiner Factory, einem Gebäude nahe dem Empire State Building, schuf er Stars, die er umgehend Superstars nannte; fortan setzte er den Standard für Ruhm, Skandal, Erfolg, Misserfolg und seine Vorstellung von der High Society.“
Das US-amerikanische Lifestyle-Magazin Interview wurde 1969 von Andy Warhol und dem Journalisten John Wilcock in New York gegründet. Die Titel mit den Porträts der Reichen, Schönen und Berühmten gestaltete Richard Bernstein. Grace Jones: „Alle glaubten natürlich, sie seien von Andy persönlich. Wenn ihm die Cover vorgelegt wurden, gab er Anweisungen wie ein plastischer Chrirurg: Lass das weg, kürze dies, beschneide jenes, füge mehr Farbe hinzu, ändere diese Nase usw. Und ganz selten: Lass es so, wie es ist.“
„Andy war sehr unsicher und blieb lieber als Beobachter im Hintergrund, kaum zu sehen oder zu hören. Er ging ungern in die Clubs, aber es war Teil seiner gesellschaftlichen Verpflchtungen. Doch auch da bewegte er sich kaum, stand im Dunkeln, beobachtete die, die um Aufmerksamkeit buhlten und hielt alles und alle auf Distanz. Keiner lernte ihn wirklich kennen.“
“Andy hatte Angst, in der Menge zu stehen, doch er hätte das nie zugegeben. Und er liebte Klatsch, davon konnte er nicht genug bekommen. Er hatte immer ein kleines Tonband in der Jackentasche, nahe am Herz, um Gespräche aufzunehmen und Erinnerungsnotizen – es war ein Teil von ihm. Er nannte es seine Ehefrau.“
Besessen von Prominenz
„Er war von Berühmtheit besessen, von den Berühmtheiten auch (John und Yoko, Tom Wolfe, Robert Redford, die Kennedy-Kids, Mick und Bianca Jagger). Und so wurde er schließlich selbst berühmt.
Er hielt ein Autogramm in Ehren, dass er als 13-Jähriger von Shirley Temple bekommen hatte: To Andrew Warhola.
Seine Eltern Ondrej Varhola (amerikanisiert zu Warhola) und Julia Justyna waren Immigranten aus dem Dorf Miková in den Karpaten.
Seine letzte Verabredung
Noch einmal Grace Jones: „Das letzte Foto von Andy zeigt ihn auf dem Rücksitz des Autos, das ihn zum Krankenhaus fuhr, zur Operation. Sein Gesichtsausdruck zeigte uns, dass er glaubte, dem Unbekannten entgegenzufahren: Seiner letzten Verabredung.“
Pop Art is for everyone
Pop Art für alle – Andy Warhol beim Wort genommen: Sein Ticket von einem Film-Festival 1967, mein Ticket von der Warhol-Ausstellung, 17. 9. 2020
Pop Art auch für Fußballspieler
Warhol-Porträts von Franz Beckenbauer (Foto Wilfried Petzi, © Andy Warhol Foundation for the Visual ArtsArtists Rights Society (ARS), New York) und Toni Schumacher