Das feuchte Festival der Lebensfreude

Foto: Faszination Fernost/B. Linnhoff

„Wenn du hier nicht tanzt, singst oder trommelst, bist du tot“, heißt es. Ich habe ein wenig getrommelt. Glück gehabt.

Das Leben ist kurz, der Wünsche sind viele. Jahrelang stand mir immer irgendein dämlicher Termin im Weg – so lange schon wollte ich zum Rainforest World Music Festival, im Dschungel von Borneo nahe Kuching, Malaysia.

Foto: Faszination Fernost/B. Linnhoff

Zur 20. Ausgabe hat es endlich geklappt. Ich bin da, am Fuße des 810 Meter hohen, gleichwohl beeindruckenden Mount Santubong im Santubong Nationalpark unweit des Santubong River, auf der Halbinsel Santubong, die ins Südchinesische Meer züngelt. Ein bisschen viel Santubong, zugegeben. Aber was für eine Kulisse! Animierend selbst  für die weltbesten Interpreten dessen, was wir Weltmusik nennen.

Was erwartet mich für 70 Euro Eintritt? Drei Tage Kernschmelze von Musik, Kultur, Geschichte, von fesselnden Auftritten, Talent, Musik-Workshops am Tag und fünf Stunden Action bei Nacht. Um zwei Uhr am Nachmittag geht`s los. Mit Jamsessions, Trommelkursen, interaktiven Minikonzerten.

Von 300 auf 20 000 in 20 Jahren

Extase im Regen (Foto: Rainforest World Music Festival)

300 Besucher zählte die Premiere 1998, 20 Jahre später kommen mehr als 20000 Menschen aus aller Welt ins Sarawak Cultural Center nahe Kuching. Auch bei der Jubiläumsausgabe sind die einheimischen Malaysier in der Mehrzahl. Viele Besucher reisen aus asiatischen Ländern an. Familien, Pärchen, Gruppen auch – verwandte Seelen, mit jeder Faser bereit, den Alltag gegen Ekstase zu tauschen und aufzugehen in der Gemeinschaft. Nur wenige Europäer, Amerikaner, Australier finden sich hier – es ist halt ein langer Trip bis in den Urwald von Borneo.

Wir aber sind da und wir wissen, worauf wir uns eingelassen haben. Hier spielt die Musik im REGENwald, das ist kein Etikettenschwindel. Eigentlich, so sagen uns die Einheimischen, sei gerade Trockenzeit in der Provinz Sarawak. Das mag sogar stimmen. Denn wir genießen gerade die feuchteste Ecke Malaysias: 247 Regentage im Jahr. Hier und heute regnet es nur am Abend, ziemlich pünktlich gegen 21 Uhr.

Fotos Faszination Fernost/B. Linnhoff

Dann prasseln die Güsse schnell, ja überfallartig. Unsere Hotelchefin hat uns Mückenspray, Toilettenpapier und Wegweiser eingepackt, vor allem aber ein Ganzkörperkondom, das Regenschutz vorspiegelt. Bis ich versuche, mich reinzuzwängen. Den Enthusiasten neben, vor und hinter mir geht es nicht anders, alle sind pläddernass. Immerhin ist es warm hier, so nah am Äquator. Wir sind nicht in Wacken.

Am Anfang war der Beat. Daran erinnert der nachmittägliche Drum Circle. Ein interaktives Trommelfeuer, das dem Verstand seine Grenzen aufzeigt: jetzt übernehmen Körper und Unterbewusstsein. Zu den diversen Workshops hingegen zieht es mich nicht so. Vor allem, wenn sie ins Esoterische gleiten. Man denke an Themen wie „Sinnestäuschungen durch Wolle“ oder „Tantra und digitale Buchhaltung“.

Fotos: Homepage Rainforest World Music Festival

Ich staune über die Vielfalt der Instrumente. Tablas (nordindische Schlaginstrumente), archaische Saitenkonstruktionen, Bambusflöten, Gongs jeder Größe. Und die Sape, die malaysische Laute in Form eines Bootes, die zum Symbol des Festivals geworden ist. Gruppen aus  Guinea und Kolumbien stehen auf den Bühnen, aus Südafrika, Indien, von den Kapverden, aus Wales, Belgien, Finnland, Korea, Myanmar. Die Créme de la Créme der Weltmusik. Französische Chansons, Sklavenlieder auf Kreolisch, Musik vom Amazonas, tahitische Wackelhüften, Countrymusik aus den USA.

Ich bin weder Experte noch ausgesprochener Fan dieser Mischung, Weltmusik genannt. Aber live wird sie zum Gesamtkunstwerk aus Rhythmus, Künstlern, spiritueller Intensität, Kulisse, Publikum.

Foto: John Fengler

Das Essen zur Musik

Dajak (Foto: Faszination Fernost/B. Linnhoff)
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Seit 2017 fügen die Organisatoren der Musik einen neuen Akkord hinzu, zur selben Zeit am selben Ort: Ein Food-Festival. Wir kaprizieren uns auf Speisen aus der Dayak-Küche. „Dayak“ ist der Sammelbegriff für die auf Borneo lebende indigene Bevölkerung, wird von Touristen aber gerne auf die Stämme reduziert, die als Kopfjäger zu Ruhm kamen.

Mittlerweile ist es mehr als 50 Jahre her, dass die Kopfjäger ihren Job und feindliche Schädel an den Pfahl gehängt haben. Daher scheint uns das Fleisch auf dem Teller über jeden Verdacht erhaben; weder an Schwein noch an Huhn stellen wir besonders exotische Noten fest.

Frisch aus der Dayak-Küche (Foto: Faszination Fernost/B. Linnhoff)

Abenteurer suchten hier ihr Glück

In jungen Jahren, in Kindheit und Jugend, habe ich zahllose Geschichten gelesen, die auf Borneo spielten. Abenteurer aus Europa suchten hier ihr Glück und fanden es selten – auch weil sie damals noch auf die Kopfjäger trafen. Borneo mit seinen Orang-Utans, Nasenaffen und Zwergelefanten war ein Synonym für undurchdringlichen Dschungel, gesegnet mit der größten Artenvielfalt der Welt. Vieles ist seither verloren gegangen unter den Bulldozern, die den Boden bereiten für Palmölplantagen. Vieles, aber nicht alles.

Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff

Die Lieder im Regenwald von Sarawak erinnern oft an das Damals. Gesungen werden sie immer noch dort, wo sie hingehören: in einer zum Weinen schönen Natur.

Foto: Faszination Fernost/B. Linnhoff

Fotos: B. Linnhoff, Cultural Center Sarawak, Rainforest World Music Festival,

Video: B. Linnhoff; Karte Cultural Center: Backpacking Malaysia; Karte Region Kuching: Go 2 Travel Malaysia

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