Das meistfotografierte Hotelfoyer in der Hauptstadt

Das Foyer des Hotels The Atlanta in Bangkok (Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff)

Das Foyer des Hotels The Atlanta ist das meistfotografierte in Bangkok. Die alte Rezeption, das Schachbrettmuster am Boden, die charakterstarken Möbel und das gedämpfte Licht erzählen von einer Ära, in der die Menschen Zeit hatten oder sich Zeit ließen. Von einer Ära, in der man sein Leben intelligenter, gelassener und unterhaltsamer ruinieren konnte als heute. Viele der Gäste sind, wie ich, nicht mehr die Jüngsten. Sind – und damit meine ich nicht nur die Männer – Nostalgiker, Globetrotter, Romantiker, Autoren, Reiseblogger. Und der eine oder die andere träumt vielleicht: Man müsste nochmal 20 sein und noch einmal durchstarten können. Mit der Erfahrung und den Telefonnummern von heute natürlich.

Die Rezeption (Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff)

2022 feierte das Atlanta seinen 70. Geburtstag. Es sieht immer noch so aus wie in den Fünfzigern des letzten Jahrhunderts und lebt genau davon. Es steht zu seiner Vergangenheit, das ist das Geschäftsmodell. Es zählt zu den Ikonen der Branche und doch haben erstaunlich viele Menschen noch nie davon gehört. Auch meine Freunde in Bangkok waren ausnahmslos überfragt, als ich sie aufs Atlanta ansprach. Liegt es nur daran, dass die Unterkunft in der eher ruhigen Sukhumvit Soi 2 steht, einer Sackgasse, die an einer Baptistenkirche endet?

Der erste Hotelpool in Thailand

Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff

Heute fällt die Vorstellung schwer, dass dieses exzentrische Hotel einmal zu den Pionieren des Gewerbes gehörte und sogar Bangkoks Nr. 2 nach dem Oriental-Hotel gewesen sein soll. The Atlanta glänzte als erstes Hotel in Thailand mit einem eigenen Swimmingpool. Der ist heute 24 Stunden geöffnet und nächtens beleuchtet, was die eine oder andere romantische Vorstellung hervorkitzelt. An den Rändern des Pools soll es, so erinnert sich der aktuelle Besitzer Charles Henn, einst Partys wie beim Großen Gatsby gegeben haben, wo die Schönen und Reichen der Stadt zu Live-Jazz tanzten.

Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff

Zwei heiße Nächte auf dem Zimmer

Ich hatte auf der Homepage zwei Nächte gebucht, zum Preis von 1100 Baht pro Nacht, 30 Euro etwa. Keine etwaigen Stornierungskosten, keine Vorkasse, bezahlt wird bei Ankunft. „Das ist Vertrauenssache“, heißt es, und offenbar hat man mit dieser Einstellung gute Erfahrungen gemacht. 90 Prozent der Gäste sind Stammgäste. Buchungen sind nur auf der Homepage möglich, nicht aber auf den gängigen Buchungsplattformen wie Agoda & Co.

Ich hatte ein Zimmer im fünften Stock gewählt, ganz oben also. Und dabei nicht bedacht, dass ein Hotel, das bei Gründung seiner Zeit voraus war, nicht zwingend einen Fahrstuhl besitzen muss. So mutierte das ganze Haus zu meinem persönlichen Fitnesscenter. Ohne Geräte, aber mit vielen Stufen im spiralförmigen, hohen Treppenhaus. Dort war es kaum kühler als draußen, also um die 30 Grad.

Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff

Das Zimmer war, wie erwartet, spartanisch eingerichtet und sauber. Die Internetverbindung funktionierte. Die Matratze war weder zu hart noch zu weich; ich würde gut schlafen können, dachte ich. Bis ich bemerkte, dass die Klimaanlage unter asthmatischen Anfällen litt und sich nach jeder halben Stunde mit einem Röcheln verabschiedete und neu gestartet werden musste. Bei tropischen Temepraturen schlief ich schließlich um vier Uhr morgens ein und wachte fünf Stunden später gerädert auf.

Also bat ich um ein neues Zimmer. Kein Problem, vierter Stock, der Raum doppelt so groß wie zuvor plus hochmotivierte Klimaanlage. Um Mitternacht telefonierte ich, da meldete mein Handyakku drei Prozent, Zeit zum Aufladen. Im selben Moment knackte es laut, im Zimmer war es zappenduster und die Klimaanlage hatte Ruh`. Stromausfall. Im ganzen Hotel waren vielleicht fünf der etwa 80 Zimmer belegt; im Zimmer und auf dem langgestreckten Flur war es ohrenbetäubend still. Ich lag auf dem Bett und fühlte mich unbehaglich. In Thailand lesen wir häufig von Kurzschlüssen, denen manchmal Feuer folgt, zumal in alten Gebäuden. Ich öffnete das Fenster und schätzte die Entfernung zum nahe stehenden Baum für den Fall einer eingesprungenen Evakuierung. Ich rief die Rezeption an – keine Antwort. Im Zimmer herrschte Inzwischen wieder Hochsommer.

Treppenhaus

Um zwei Uhr schließlich taperte ich vier Stockwerke durch das nachtschwarze Treppenhaus herunter zur Rezeption. Dort hielt ein junger Mann Wacht und verkündete: „Kein Strom in der ganzen Straße.“ Zurück ging es vier Stockwerke bergauf. Ich war beruhigt und platt und schlief ein. Um vier Uhr. Das ist jetzt meine Zeit.

Schnappschüsse nur für Residenten

Wer das Atlanta-Foyer, wer Ambiente und Mobiliar fotografieren will, kann nicht einfach für ein paar Schnappschüsse hereinschneien. Ohne gebuchtes Zimmer geht nichts. In den Achtzigerjahren war das Hotel eher eine populäre und billige Hippie-Absteige. Die Gäste von damals würden sich wundern über den aktuellen Katalog von Verboten: Keine Sex-Touristen, keine Drogen, keine Zigaretten, null Toleranz für Unruhestifter, Kinder bitte unter Kontrolle halten.

Geisterhäuschen am Swimmingpool (Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff)

Das Restaurant heißt Ah!

In einigen Internet-Geschichten über das Atlanta werden Küche und Restaurant gelobt. Nicht von mir. Am einzigen Abend, den ich im Ah! aß, war mir eher nach Oh! Gebratenes Gemüse zählt zu den weniger komplexen Gerichten, doch meins war zerkocht, lauwarm und schmeckte nach nichts.

The Atlanta: Seine lange Geschichte in Kürze

Bevor das Hotel zum Klassiker wurde, war es state of the art und so fortschrittlich wie sein erster Besitzer Dr. Max Henn. Der Berliner Arzt und Unternehmer hatte sene Kindheit noch im deutschen Kaiserreich erlebt und war von den Nazis aus der Heimat vertrieben worden. In Bangkok erwarb Dr. Henn ein fünfstöckiges Gebäude, um dort eine Firma zu führen, die Seren gegen Schlangenbisse produzierte und verkaufte. Die Sukhumvit Road, heute Hauptverkehrsader der Hauptstadt, war damals noch eine schmale Landstraße inmitten von Obstgärten und kleinen Siedlungen.

Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff

Nach der Umwandlung des Gebäudes in ein Hotel führte Henns Lebensgefährtin Lek in der Lobby ein Reisebüro. Das Paar wohnte in einer Suite des Hotels; zum Einkaufen fuhren die beiden in einem schwarzen Plymouth. In den 1960er Jahren zählten auch amerikanische Soldaten zu den Gästen, die sich auf ihren Einsatz im Vietnamkrieg vorbereiteten oder sich davon erholten.

Henn senior starb am 13. Mai 2002 im Alter von 96 Jahren. Sein Sohn Charles, eigentlich „Professor for Global Affairs“ an der Buckingham-Universität in England, erbte das Hotel und vermarktete es als Kulthotel. Das war klug und funktioniert bis heute. 90 Prozent Stammgäste, wer wünscht sich das nicht als kommerzieller Herbergsvater! Charles Henn lebt heute in Bangkok.

Bühnenbild für filmische Dramen und Bücher

In der TV-Serie „Die Schlange“ (The Serpent), die den Serienmörder Charles Sobhraj ins Visier nimmt, war das Atlanta kurz zu sehen (Mitte der ersten Folge, beim Meeting der Diplomaten in einer Hotel-Lobby). Das Foyer wurde jedoch fast von Beginn an als Drehkulisse gebucht. So auch 1965 für den deutschen Streifen „Der Schwarze Rubin“ mit Peter Carstens und Horst Frank.

Schreibstube für Gäste

Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff

Vielleicht komme ich bald zurück, um in der eigens für Gäste eingerichteten Schreibstube ein paar Geschichten zu schreiben. Wenn die Klimaanlage funktioniert. Vielleicht strahlt ja etwas vom Einfallsreichtum derer auf mich ab, die an der Wand hängen, weil sie in ihrem Autorenleben auch das Atlanta gewürdigt haben.

Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff

Zum Abschluss: Hauptrolle für The Atlanta in einem Musikvideo von 2019

Das offizielle Musikvideo zum Song No More Tear von FuKFANG spielt komplett im Atlanta.