Mein erster Besuch in Vietnam. Ein Land, in meinem Bewusstsein auf ewig geprägt durch die Bilder jenes Krieges in den 60er und 70er Jahren, der hier, am Austragungsort, der “Amerikanische Krieg” genannt wird – in der Geschichte gibt es immer mehr als nur eine Perspektive.
Am Flughafen Noi Bai falle ich gleich auf den Bauerntrick herein, mich von Schleppern abseits der offiziellen Taxis zu einem Minivan schleusen zu lassen. “Taxameter?”, frage ich. “Sure”, lautet die Antwort. Ich steige ein, wir fahren los. Kein Taxameter, nirgends. “Taxameter!”, rufe ich. “Not have”, antwortet der Fahrer. “Stop!”, brülle ich, mein Zorn ist authentisch, das merkt auch der Fahrer. Widerstrebend lüftet er auf der rechten Ecke des Armaturenbretts den Hut, der die Uhr verdeckt. Die folgenden 20 km durch die Nacht bis zur Innenstadt bleibe ich hochaufmerksam, ohne jede Ahnung, wo es lang geht. Mit den ersten Lichtern der Großstadt lässt die Spannung nach.
Ich wohne mit Freunden im Asian Ruby Hotel, einem der vielen kleinen, pragmatischen Hotels in der Altstadt Hanois. Eine gute Wahl als solche und auch logistisch, denn die Lage garantiert Straßentheater pur vor der Haustür.
Fotos Faszination Fernost/B. Linnhoff
Viele Gebäude, viele Straßencafés, die der Hauptstadt im Norden einen speziellen Charme verleihen, sind sichtbares Erbe der französischen Kolonialherrschaft, die für die Vietnamesen jedoch oft furchtbare Erfahrungen bereithielt. Die Kathedrale St. Joseph wurde bereits 1886 von den Franzosen in der Nähe des Hoan Kiem-Sees erbaut. Die Vietnamesen nennen sie “Klein Notre-Dame” – weil sie der Notre-Dame-Kirche in Saigon ähnelt und nicht etwa der Kathedrale in Paris.
Sozialistische Dominanzarchitektur findet sich in Hanoi eher selten. Neue, triste Hochhauswohnblocks an der Peripherie lassen erahnen, dass die Zukunft zumindest architektonisch weniger charmant sein wird.Mein erster Eindruck von Hanoi und damit auch von Vietnam: Ein Mix aus Motorrädern/Mopeds/Motorrollern, aus Sonntagsbräuten und einem Schuss Historie – ein unvollständiger Eindruck selbstredend. Fazit für alle, die sich in dieser Region mal tummeln wollen: Hanoi, am 10.10.2010 1000 Jahre alt geworden, ist mehr als nur einen kurzen Besuch wert.
Ich staune über die Myriaden motorisierter Zweiräder und noch mehr über das akustische Begleitkonzert. Jeder Vietnamese scheint spätestens zum ersten Geburtstag eine Hupe zu bekommen, die er fortan benutzen muss. Ein Anlass ist nicht zwingend nötig. Die Menschen lenken mit der Hupe.
Wer in Bangkok eine der größeren Straßen in einem Rutsch zu Fuß überqueren und lebend auf der anderen Seite ankommen will, sollte gedopt sein. Oder über einen phänomenalen Antritt verfügen. In Hanoi wäre diese Strategie die Abkürzung zum Selbstmord.
Hier gehst du mit dem Flow. Langsam, aber stetig, die Zweiräder kurven um einen herum, und du fühlst dich wie Moses, der das Rote Meer teilt. Der gelernte Impuls hingegen, im Tohuwabohu abrupt und mitten auf der Straße innezuhalten, löst in einer Nanosekunde das absolute Chaos aus. Schreckensschreie, spontane Kaltverformungen an Blech, Stillstand. Und – muss ich es erwähnen? – endloses Gehupe natürlich.
An der Kreuzung neben unserem Hotel gibt es einen kleinen Eckladen, dessen Eigner offensichtich den schwarzen Gürtel in Origami besitzt. Filigran aus Papier gefaltet, stehen sie vor mir in Reih` und Glied, die größten Fußball-Arenen der Welt. Nebeneinander, dicht an dicht, Barcelonas Camp Nou und Münchens leicht angeschmuddelte Allianz Arena – ein Omen für künftige Endspiele in der Champions League?
Vietnams opferreiche, leidenschaftlich umkämpfte, erstaunlich oft siegreiche Geschichte reicht deutlich weiter zurück als bis zu den Sechziger Jahren. Bei einem (zu kurzen) Besuch des “Museums der Revolution Vietnams” sehen wir viele Beispiele für Menschen, die ihr Leben dem langen Kampf um die Unabhängigkeit und Vereinigung von Nord- und Süd-Vietnam gewidmet haben.
Ein Mann überstrahlt in seiner Präsenz alle, und das mit Recht, wie ich beim Lesen der kurzen Biografie eines faszinierenden Lebens lerne: Nguyen Sinh Cung, wie er als Kind hieß; Nguyen Ai Quoc, wie er sich zu Beginn seiner politischen Aktivitäten nannte, nach dem ersten Weltkrieg in Frankreich; Nguyen Tat Thanh, wie sein offizieller Name lautete; Bac Ho (Onkel Ho), wie er noch heute von den Vietnamesen genannt wird: Ho Chi Minh.
Ho Chi Minh verkündete die Unabhängigkeit am 2. September 1945 in Hanoi. Zur bis heute gültigen Einigung des Landes kam es jedoch erst 1975 nach dem Ende des Vietnamkrieges. Die Ikone u. a. auch der deutschen Studentenrevolte Ende der Sechziger (“Ho, Ho, Ho Chi Minh!”) hat die Vereinigung nicht mehr erlebt. Onkel Ho starb 1969.
Alle Fotos: B. Linnhoff/Faszination Fernost
Video-Tipp: Biografie Ho Chi Minh auf Youtube: