Titel: Der ehemalige Kindersoldat Aki Ra entschärft eine Landmine
Noch immer sterben 50 Kambodschaner im Jahr durch das explosive Erbe der Großmächte
Schwarzer Humor? Zynismus? Oder einfach nur cleveres Marketing? Im Landminen-Museum nahe Siem Reap konnten wir Seife in Form von Tellerminen kaufen. Das war nochmal ein neues Niveau in Sachen Pragmatismus. Von den fünf US-Dollar Eintritt konnte das Museum für Sprengkörper aller Art wohl nicht leben. Wir überlegten, wie sich die guten Stücke daheim in Badezimmer wohl anfühlen würden. Hätten wir die leise Befürchtung, sie könnte in der Hand explodieren?
Ein Gang durch dieses ungewöhnliche Museum zeigt einmal mehr, dass der Mensch selten so einfallsreich ist wie bei der Erfindung von Waffen, die geeignet sind, Artgenossen auf kreative Art zu töten oder zu Krüppeln zu machen. Als wäre Exekution ein besonders wertvolles Unterfangen.
Noch immer sterben in Kambodscha etwa 50 Menschen jährlich durch Landminen und Blindgänger, etwa 100 werden verletzt. “Eine deutliche Reduzierung gegenüber den Vorjahren”, verkündete stolz Heng Ratana, Generaldirektor des Cambodian Mine Action Center (CMAC) am 4. April 2024. Keine drei Wochen später starben in der Provinz Mondulkiri vier Familienmitglieder, als sie im Wald beim Harz-Sammeln auf Landminen traten; ein weiterer Khmer wurde auf diese Weise nahe Sihanoukville getötet. Noch immer müssen mehr als 530 Quadratkilometervon Kambodschas von unentdeckten Sprengkörpern befreit werden.
Mit dem Flächenbombardement der USA fing es an
Da die Nachschubroute der Nordvietnamesen während des Viertnamkriegs auf dem so genannten Ho-Chi-Minh-Pfad auch durch Kambodscha führte, befahl US-Präsident Richard Nixon auf Anraten seines Sicherheitsberaters Henry Kissinger die Flächenbombardierung des Landes. Das US-Bombardement zwischen Oktober 1965 und August 1973 forderte mehr als 60.000 Opfer in der Zivilbevölkerung. Was wesentlich zur steigenden Popularität der Roten Khmer beitrug. die 1975 die Macht übernahmen und bis 1979 etwa ein Viertel der kambodschanischen Bevölkerung auslöschten. Während der Herrschaft der Roten Khmer vergrößerten russische und chinesische Bomben das explosive Erbe in Kambodscha.
In den letzten 30 Jahren fanden und zerstörten CMAC und andere Nichtregierungsorganisationen (NGOs) mehr als vier Millionen Landminen und andere Blindgänger.
164 Länder unterschrieben 1997 in Ottawa eine Minenverbots-Vereinbarung, mit Ausnahme von den USA, China, Russland, Indien, Pakistan und Myanmar. Noch Fragen?
Aki Ra: Waise, Kindersoldat, CNN-Held
Aki Ra wurde um 1970 herum geboren, sein Geburtsname war Eoun Yeak. Nachdem die Roten Khmer seine Eltern getötet hatten, wuchs der Waise in einem Lager auf und wurde zum Kindersoldaten in Diensten der Roten Khmer ausgebildet. Jahre später schloss er sich der revolutionären Volksarmee der neuen Regierung Kambodschas an. Zu seinen Aufgaben gehörte es, an der Grenze zum Nachbarn Thailand neue Minen zu legen.
1991 erhielt Aki Ra bei der UN, die in Kambodscha nach jahrelangen politischen Wirren den Übergang zur Zivilgesellschaft unterstützen sollte, einen Job als Minenentschärfer. Auch nach seiner Entlassung ein Jahr später widmete er sich der Entschärfung von Landminen und Blindgängern. Zunächst mit einfachsten Mitteln: Messer, Hacke, Stock und ein Multifunktionswerkzeug namens Leatherman.
Meist erhielt Aki Ra Anrufe aus verstreuten Dörfern, wenn wieder mal jemand auf eine Mine getreten war. Zunächst sammelte er die dort entschärften Objekte bei sich zu Hause oder verkaufte sie als Abfall. Bei seiner Tätigkeit begegneten ihm viele Kinder, Waisen oft, die Gliedmaßen bei Explosionen verloren hatten. Einige nahm er zu sich nach Hause, zwölf Mädchen und Jungen am Ende, die unter seiner und der Obhut seiner Frau Hourt aufwuchsen.
Um 1999 herum bekamen die ersten Touristen Wind von der ungewöhnlichen Sammlung des immer noch jungen Mannes. Gegen eine Gebühr von einem US-Dollar durften sie sich die Objekte anschauen. Das war der Grundstock für das Landminen-Museum, das heute etwa 25 Kilometer von Siem Reap City entfernt an einer Landstraße steht, unweit der berühmten Tempel von Angkor Wat. Teil des Museums war das Relif Center, dort lebten die von Explosionen verstümmelten Kinder.
2010 kürte der amerikanische TV-Sender Aki Ra zum CNN Hero. Nach eigenen Angaben entschärfte der Khmer über 50.000 Sprengkörper. Sein Leben in der ständigen Nähe des Todes erregte auch international Aufsehen, zum Beispiel in deutschen Medien (Foto). Der 2010 produzierte Film “A perfect Soldier” (“Ein perfekter Soldat”) zeigte, dass Aki Ra nach seinen traumatischen Erfahrungen als Kindersoldat oft unter Depressionen, Albträumen und Angstzuständen litt.
Bei unserem Besuch im Landminen-Museum erfuhren wir nicht nur die Geschichte seines Gründers. In den Bildergalerien an den Wänden sahen wir, welche verheerenden Wirkungen das explosive Erbe der von Amerikanern, Russen und Chinesen platzierten Sprengkörpern verursachte. Womit noch kein Wort über die seelischen Folgen für die Betroffenen gesagt war. Aki Ra und seine Helfer fanden Blindgänger und Minen auch in unmittelbarer Nähe von Angkor Wat. Die Darstellungen im Museum waren teilweise sehr einfach, weil das Budget nicht mehr hergab.
Im Zeichen der Ratte: Ein Orden für Magawa
Noch immer lauern Blindgänger und Streumunition in kambodschanischer Erde. Obwohl mit den Jahren auch Frauen den Job der Entschärfung übernahmen, brauchte es neue Ideen, um die Räumung der Sprengköprer zu beschleunigen.
Es passiert nicht so oft, dass eine Ratte einen Orden bekommt. Es passiert auch eher selten, dass die New York Times einer Ratte nach ihrem Tod einen Nachruf widmet. Magawa hieß das gute Tier, das in seiner erfolgreichen Laufbahn mehr als 100 Landminen und zahlreiche nicht explodierte Sprengkörper erschnüffelte, 2020 in Rente ging und zwei Jahre später starb.
Die in Tansania geborene Riesenhamsterratte wurde von der gemeinnützigen belgischen Organisation Apopo ein knappes Jahr lang für den Einsatz bei der Minensuche trainiert. Für ihre lebensrettende Arbeit in Kambodscha bekam die Ratte von Großbritanniens führender gemeinnütziger Tierorganisation PDSA den höchsten britischen Tierorden verliehen, eine Goldmedaille am blauen Band. Als erster Nager überhaupt erhielt sie die Auszeichnung, die vergleichbar ist mit dem Georgs-Kreuz, der höchsten zivilen Auszeichnung für Tapferkeit im Vereinigten Königreich.
Trainierte Ratten können in 20 Minuten 200 Quadratmeter zu durchkämmen. Ein Techniker mit Metalldetektor braucht dafür bis zu vier Tage. Ihr Geruchssinn ist sensibel, sie wiegen weniger als beispielsweise Hunde, die ebensogut Blindgänger erschnüffeln könnten, wegen ihres Gewichts jedoch Gefahr laufen, im Moment des Fundes selbst zu explodieren.
1997 traf sich die internationale Gemeinschaft im kanadischen Ottawa, um sich über den Einsatz oder das Verbot von Minen zu beraten. 164 Länder unterschrieben schließlich eine Vereinbarung, die die Produktion, das Lagern und den Einsatz von Minen verbot. Nicht unterzeichnet haben die USA, China, Russland, Indien, Pakistan und Myanmar.
Weitere Links zum Thema:
Habe Kambodscha, vor ca 30 Jahren, mehrfach besucht, wurde dort auch herum gefuehrt. Sah das “Erbe” der Roten Khmer. War immer total erschuettert.
Dieser Bericht erschuettert mich auf’s Neue.