Tabus in Form gegossen
Wenn Katai noch ein paar Sekunden länger auf mich einredet, finde ich auch einen rostigen Nagel erotisch. Schließlich sei alles erotisch, behauptet sie. Du siehst es nur nicht. Als sie den hartnäckigen Rest Skepsis in meinem Blick entdeckt, reibt sie lächelnd eine Pusteblume an meiner Wange und bläst sanft in die Blüten. Dabei kennen wir uns erst seit zehn Minuten.
Katai Kamminga, schlank, intensiv, neugierig, Mutter dreier Kinder, kann stolz sein: Sie hat Tabus in Stein gemeißelt und die Grenzen der thailändischen Kultur gedehnt. Das Land ist, Bangkoks Nachtleben und Sündenpfuhl Pattaya zum Trotz, traditionell dezent bei öffentlicher Darstellung erotischer oder gar explizit sexueller Themen – es gibt auf Thai kein Wort für Erotik.
Der Erotische Garten, den Katai neben malerische Reisfelder nahe Chiang Mai gepflanzt hat, ist erstens öffentlich und zweitens explizit genug, um konservativen Kulturbeauftragten auf den sensiblen Magen zu schlagen. Und doch: In diesen Tagen wird der Garten vier Jahre alt. Das ist die eigentliche Sensation. Dass es ihn (immer noch) gibt. Geben darf.
Zusammen mit meinem amerikanischen Freund John Fengler bin ich die gute halbe Stunde vom Zentrum Chiang Mais in den Vorort Mae Rim gefahren, um den kontroversen Garten der Lüste zu inspizieren. Nun sitzen wir im Teehaus und schlürfen den Willkommenstrunk. Katai führt uns ein ins Thema. In den Regalen stehen Bildbände zur ars erotica Asiens, einer Kunst mit Jahrhunderte alter Tradition. Daneben Penisse, manche aus Holz, andere aus Wachs, mit Docht.
Frau Kamminga ist – wenn wir im Bild bleiben wollen – gerade beim Vorspiel, verweist auf eine Orchidee, ihre erotische Form, was sonst. So präpariert sie uns für den Hauptgang: “Schaut euch im Garten die Blumen an. Erweitert Eure Vorstellungskraft. Erotik steckt in uns allen von Geburt an, unterschiedlich ist nur unsere Wahrnehmung, gebrochen und geschwächt durch unterschiedliche Kulturen, gesellschaftliche Ideale und Regeln.”
Der Garten erwartet uns schon. Zum Eingang führen zur Rechten drei Phalli mit Goldhelm (ein Spätwerk Rembrandts vermutlich), die Phalli spenden Wasser auf Lotosblätter; geradeaus buhlt ein wunderschönes Holzfries mit barbusigen Musikerinnen vom Volk der Lanna um Aufmerksamkeit.
Dann sind wir drin. Aufrecht begrüßt von einigen palad khik, traditionellen Amuletten in Penisform. Einige haben eine Anstellung gefunden als Schirmständer, ganz im Sinne des Amuletts, das Schutz bieten soll vor Bösem und auch noch Wohlstand verspricht.
Klein ist er nicht, dieser Garten. Bei vielen der provokativen Skulpturen und phallisch geformten Pflanzen hat das Kopfkino Ruh`. Wozu Phantasie, wenn es doch unübersehbar in der Landschaft steht, das Ideal eines männlichen Gliedes, stramm und gülden. Ein bisschen groß vielleicht.
Auf jeden Fall beeindruckend. Aber auch erotisch? Was ist erotisch? Für mich eher das Angedeutete, nicht Gesagte, nicht ganz Gezeigte.
Aufklärung in fragwürdiger Dimension
85 bis 90 Prozent der Besucher sind Ausländer; viele Thais fühlen sich angesichts der oft eindeutigen Exponate eher unwohl. Die Fortgeschrittenen aber kommen sogar mit ihrem Nachwuchs. Vielleicht wollen sie den Heranwachsenden einen Weg der Erkenntnis weisen, der ein wenig mehr Poesie bereit hält als das, was sie im Internet zum Thema finden. Sollten die Mädchen und Jungen ihre Erwartungshaltung allerdings an den hier präsentierten Dimensionen ausrichten, werden sie sich später noch wundern.
Ein Geschenk: So fand Katai ihr Lebensthema
Die Hausherrin stammt aus Ubon Ratchathani im Osten Thailands. Sie studierte in Bangkok und Sydney, führte viele Jahre lang ein Thai-Restaurant im australischen Canberra. Vor Jahren bekam sie einen Bildband mit erotischer Kunst aus aller Welt geschenkt, ihr Lebensthema seither. Auch den passenden Gatten hat sie gefunden, Dr. Jo Kamminga, australischer Archäologe, genauso eloquent und noch extrovertierter als seine Frau. Als Experte für Bhutan bereicherte Jo den erotischen Garten mit einer Hauswand voller Penisse – im kleinen Königreich am Fuße des Himalaya ein alltäglicher Anblick.
Die steinernen Skulpturen im Gelände stammen von einheimischen Kunststudenten. 20 verschiedene Pflanzen ergänzen das Angebot. Über manche Fläche lässt Katai Gras wachsen. Hügel hier, Senken dort. Harmonie in Farben und Formen, aber nichts, was peinlich wäre oder animieren könnte. Uns zumindest. “Schaut, selbst meine Zwiebeln sind sexy!” ruft Katai. John und ich schauen uns fragend an, und Katai lacht.
Dann zeigt sie auf die Astgabel vor uns, an der ich gerade noch völlig ahnungslos vorbeispaziert bin: “Was siehst Du da?” Eine Stunde zuvor hätte ich noch “Astgabel” geantwortet, aber mittlerweile bin ich vorsichtig geworden. “Wo stößt Euer Denken an Grenzen?”, setzt sie nach. Das, liebe Katai, wirst du nie erfahren.
Vom Start weg wurde der Erotische Garten zu einem prächtigen Phallbeispiel dafür, wie Kommunikation heute funktioniert. Zuerst schickte die Agentur Getty Images ein paar Fotos der Skulpturen um die Welt. Mit diesen Bildern illustrierte die Huffington Post eine anspielungsreiche Story über den Park. Feedback: Vier Millionen Klicks innerhalb von 12 Stunden. Der Garten war in New York schon bekannt, bevor Thailands Staatsdiener in Bangkok, Chiang Mai und Mae Rim davon erfuhren. Dann aber ging alles ganz schnell. 15 Mitarbeiter der Kulturbehörde plus Polizei rauschten heran.
Am bedauernswerten Pol Col Adul Somnek schließlich blieb die Entscheidung hängen, ob der seltsame Park nun eher obszön war oder ein Spaß für die ganze Familie. Falsche Entscheidungen führen in Thailand rasch zu Gesichtsverlust, und diese Entscheidung gehörte nicht zu den leichten.
Die Pixel-Ritter vom Fernsehen
Sollte Verdecktes und Verstecktes tatsächlich stärker erotisieren als das Offensichtliche, geht unser Glückwunsch an die Redakteure des thailändischen Fernsehens. In ihrem Bemühen um Zucht und Ordnung pixelten sie im Bericht alle Körperteile, die in Thailands Haushalten für Irritation hätten sorgen können.
Eine Skulptur allerdings beunruhigte Polizeileutnant Adul nachhaltiger als gedacht, so dass sein endgültiges Urteil zur Hängepartie geriet – bei der Skulptur bestand diese Gefahr nicht. Eine Frau umarmt einen erigierten Phallus. Oder erklimmt sie ihn gar? Aduls Kiefer mahlten, die Reporter hielten den Atem an: Wurde hier und jetzt das Ende des Erotischen Gartens besiegelt, der gerade erst geöffnet hatte?
“Was”, so fragte der Polizist die Inhaberin, “oder besser: Wie erklären Sie mir das?”
“Das”, so erwiderte Katai lächelnd, “das ist mein Traum.”
“Ihr Traum”, wiederholte der Hüter der Ordnung nachdenklich. Vielleicht dachte er an seine Frau, und ob sie auch so ausufernd träumte. Dann aber lächelte er und sagte: “Was kann man schon machen gegen einen Traum? Ein Traum verstößt nicht gegen das Gesetz.”
Offensichtlich gibt es Gäste, die ganz ähnlich träumen wie Katai
Wir lernen:
Auch das kann Kunst sein in Thailand: Mit der Obrigkeit klarzukommen.
Noch ein Link zum Thema: Erotische Kunst in Thailand
Fotos: Faszination Fernost/B. Linnhoff, Homepage Erotic Garden and Teahouse (2), John Fengler
Chiang Mai Erotic Garden & Teahouse
46/3 Moo 3, Soi 5, Huay Sai Maerim, Chiang Mai
Tel. 083-318-4855
Facebook: Erotic Garden
Und so kommt man hin:
ich habe vor langer Zeit Bilder von einer Treppe zu einem Tempel gesehen, auf deren breitem Geländer -zig Stein Penisse standen: auf diesen lassen sich der Tradition zufolge Frauen mit Kinderwunsch nieder, um für Nachwuchs zu beten
die Frauen beteten stundenlang, tagelang, mit diesen Stein Penissen in sich, und verneigten sich vor vorbei gehenden Mönchen, denen sie Opfergaben und Reis gaben
WO ist dieser Tempel und WIE heisst er? (es ist lange her, ich finde das Buch mit den Bildern nicht mehr und ich erinnere mich nicht einmal, welches Land das war, ich vermute Kambodscha oder Thailand aber ich weiss es nicht mehr) wer kann mir helfen?
Wow, so ein cooler Spot und ist ja echt witzig, dass die “Zipfel” im Thai-Fernsehen zensiert werden, während die “Nippel” ganz normal gezeigt werden.
Ich war mal in China in einem Sexmuseum und wurde über unsere bayerischen Maibäume aufgeklärt. Die stellen ja angeblich auch einen Penis als Fruchtbarkeitssymbol dar…
Danke für diesen coolen Reiseinsidertipp – hab grad Lust hinzureisen;)
Kilian