Das Leben auf den Spuren der Kunst
Die zweite Bangkok Art Biennale (BAB 2020) war schon deshalb ein Erfolg, weil sie trotz der Corona-Pandemie stattfand. Eröffnet wurde sie im Oktober 2020, zu einem Zeitpunkt also, als kulturelle Events weltweit längst abgesagt waren. Doch 82 Künstler (darunter auch Yoko Ono, Bild rechts) aus 35 Ländern lieferten trotz erschwerter Umstände über 200 Kunstwerke in Thailands Hauptstadt; einige Künstler waren sogar persönlich zu Gast.
“Escapes routes” (Fluchtwege) lautete das Thema der BAB 2020. Der Zufall wollte es, dass parallel zur Ausstellung heftige Proteste junger Thailänder das politische Establishment beunruhigten. So ließ sich eine Verbindung zwischen dem Motto der Biennale und den Demos nicht vermeiden. Sonst reflektiert die Kunst das Leben – reflektierte das Leben diesmal die Kunst?
Im Zentrum der Stadt gerieten die Demonstranten bis an die Tore des Bangkok Art and Culture Centre (BACC). Es blieb friedlich. Mit einem offenen Brief unterstützten 25 internationale Künstler die Demonstrierenden sogar; sie sprachen sich für einen demokratischen Wandel aus und gegen Gewalt der Ordnungskräfte. Schließlich sei Kunst nicht nur Raum für Reflexion über aktuelle Themen: „Wir müssen auch ungestört mit denen sprechen können, die buchstäblich vor unserer Haustür angekommen sind.“
Und Sarah Naqvi, multidisziplinäre Künstlerin aus Indien und einer der jungen, neuen Namen in der Szene, ergänzte: „Kunst muss ein sicherer Ort sein, an dem Proteste mobilisiert werden und Widerstand gedeiht.“ Die Demonstranten ihrerseits nahmen Anleihen bei der Kunst, als sie eine gelbe Gummiente zum Maskottchen wählten.
Letztlich blieb es bei einem Teilerfolg für die jeweiligen Organsiatoren, dass sie die Biennale bzw. die Proteste trotz Corona-Restriktionen durchzogen. Die Biennale blieb bis zu ihrem Ende ohne den verdienten Zuschauerandrang, die Demonstranten sind noch immer weit vom Erreichen ihrer Ziele entfernt.
Lampu Kansanoh: Gegen den Status quo
Auf ihre ureigene Art thematisiert Lampu Kansanoh die politischen Demonstrationen in Thailand (s. Titelbild), eines ihrer Porträts zeigt den Premierminister des Landes, General Prayut (oben). “Ich glaube nicht, dass meine Bilder die Politik verändern oder reformieren können”, sagt die thailändische Künstlerin, “aber sie spiegeln zumindest den Blickwinkel einer Person wider, die mit dem Status Quo nicht einverstanden ist.”
Das gilt auch für ihre Serie mit Donald Trump, der noch im Amt war, als Lampu Kansanoh den US-Präsidenten würdigte.
BAB 2020 im Bangkok Art and Culture Centre
Besucher der Biennale wurden schon am Haupteingang des BACC damit konfrontiert, dass Kunst in diesen Zeiten politisch sein kann, wenn nicht muss. “Unendliche Versuche, nie abgeschlossen” nennt der in Buenos Aires geborene Thai-Künstler Rirkrit Tiravanija sein Labyrinth aus Bambus: Hier sind Fluchtwege rar.
Thailands Künstler Lolay (geb. 1970) ist bekannt für seine übergroßen Skulpturen. Zwei von ihnen (DO A TO MII Doll 1939, Doll 2020) zeigen die Anfangsjahre zweier Weltkriege als symbolische Nachbarn. 1939 begann der Zweite Weltkrieg, eine globale militärische Auseinandersetzung – 2020 kämpfte die Welt gegen einen gemeinsamen Feind namens Covid-19.
Auf der anderen Seite des Eingangs gemahnt ein Wandbild an den internationalen Anti-Korruptionstag am 9. Dezember – der/die UrheberIn des Bildes ist mir leider nicht bekannt.
Michael Shaowanasai: Die Promenade der Homos (2020)
Wir wissen: Auch das Private ist politisch. Der Amerikaner Michael Shaowanasai (geb. 1964 in Philadelphia) wendet sich mit seiner Porträtserie und diversen Videointerviews an die Mitglieder der thailändischen LGBTQ Community und erinnert zugleich an den 50. Geburtstag der ersten Gay-Pride-Parade in New York 1969.
Jack the Skinners
Jack the Skinners stellt die Puppe eines Bauchredners dar, nachempfunden vom Künstler P7. Wie so oft, bleibt die Interpretation auf Wunsch des Künstlers dem Betrachter überlassen. Soll er sehen, wie er damit fertig wird.
Dragonerpanzer aus Porzellan
Wasinburee Supanichvoraparch (geb. 1971) kommt aus Ratchaburi nahe Bangkok. Zu seinem blau-weißen “Dragon Tank” wurde er ausgerechnet von Friedrich August I. inspiriert, genannt “Der Gerechte”. Sachsens erster König soll von chinesischem Porzellan nahezu besessen gewesen sein.
Ein Reporter der New York Times verglich die Porzellantanks mit Thailands Demonstranten und der Polizei. Der Künstler erwiderte, seine Motive seien streng „kulturell“, aber die Öffentlichkeit könne die Panzer nach Belieben interpretieren.
Ein Gast aus der Mongolei
“Mars Aliens” (2020) – Baatarzorig Batjargal
Performance von Miles Greenberg
Als Laie in der Kunstwelt überleben
Eine der goldenen Regeln für ein Überleben des Laien in der Kunstwelt lautet: “Übernehmen Sie im Gespräch bloß keine Begriffe aus den Infozetteln, die am Eingang ausliegen. Selbst der Galerist würde niemals sagen, dass sein Künstler „die Möglichkeitsräume des Politischen auslotet“. Die Infozettel stammen meistens von Praktikanten, die gerade aus dem kunsthistorischen Seminar kommen. Da redet man so.” (Quelle: Die Welt)
Immer ein Thema in der Szene: Money
Money – Serie von Tawan Wattuya/Thailand (Fotos B. Linnhoff/Faszination Fernost)
Ein Kunstexperte werde ich nicht mehr, zuviel Wissen kann den Blick verstellen. Ich bleibe Amateur im besten Sinne: Liebhaber. Frei nach Picasso: Kunst wäscht den Staub des Alltags von der Seele.
Die zweite Biennale habe ich erst spät und unvollständig erlebt. Sie fand an insgesamt zehn Orten in Bangkok statt, ich aber besuchte nur das Bangkok Art and Culture Centre, wo 86 Werke von 28 Künstlern ausgestellt wurden. Auch die schmale Version des Events war mir ein Vergnügen.