Herr Müller zeigt uns Thailands einstige Hauptstadt

Mit dem Longtailboot näherten wir uns dem Riesen, in hektischen Verrenkungen bemüht, wenigstens einen Teil seiner 69 Meter lichten Höhe mit der Kamera zu erfassen. Der Bootsführer verlangsamte das Tempo, wir dankten ihm im Geiste, das erleichterte unsere Bemühungen. Dann hielt er an, und alle Verrenkungen wären nicht nötig gewesen – wir stiegen aus und genossen Bangkoks jüngste Sehenswürdigkeit in ihrer ganzen Pracht und Größe.

Video Faszination Fernost/B. Linnhoff

3,3 Millionen US-Dollar soll der „Große Buddha“ aus vergoldetem Kupfer gekostet haben, andere Quellen sprechen von 16 Millionen Dollar Spendengeldern, verbaut in vier Jahren. Einzelne Teile des Bauwerks wurden in China produziert und per Schiff nach Bangkok transportiert. Die Statue steht in Thonburi am Westufer des Chao Praya, umgeben von Klongs (Kanälen), auf dem Gelände des Wat Paknam Phasi Charoen. Das ist ein königlicher Tempel dritter Klasse mit nun erstklassigen Besucherzahlen.

Der „Phra Buddha Dhammakāya Thepmongkhon“, wie er offiziell heißt, ist das ideale Symbol für Thonburi, weil er Tradition und Moderne verbindet. Ende des 18. Jahrhunderts war das damals selbständige Thonburi sogar für kurze Zeit Hauptstadt des Königreichs Siam, das sich erst seit 1939 Thailand nennt. Mehr als 100 Jahre alte Teakhäuser ducken sich heute in den Windschatten neuer Wolkenkratzer und zeugen von einer Vergangenheit, die Thonburi noch nicht komplett hinter sich gelassen hat.

Da wird es schon mal eng, da wird es schon mal arm, und an das gerne bemühte Klischee in tropischen Ländern („Die Menschen sind arm, aber glücklich“) mag ich nicht glauben, bei über 30 Grad in den Wohnungen und ohne Klimaanlage, und der träge Waran liegt nahe der Türschwelle. Das alles sehen und fühlen wir nur, weil wir zu Fuß unterwegs sind. Auf einer Tour der Green Mango Bangkok Touren, die sich auf diese Art Sightseeing spezialisiert haben.

Wie so oft, habe ich mir auch diesmal das Programm nicht aufmerksam genug angeschaut. Vor der Fahrt durch die alten Kanäle spazieren wir erst einmal acht Kilometer durch Thonburi. Kein Problem, hätte ich nicht statt meiner Sneakers konventionelles, fast neues Schuhwerk an den Füßen.

Herr Müller kauft ein (Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff)

In unserer kleinen Gruppe – Moni und Peter aus Stuttgart sowie Carsten aus Erfurt, der mich an den jüngeren Marius-Müller Westernhagen erinnert – stimmt die Chemie von Beginn an. Das ist wichtig, wenn Fremde viele Stunden in enger Formation absolvieren. Der freundliche Mann, der im Foto oben gerade eine Portion Jackfrüchte für uns ersteht, ist unser Guide. 72 Jahre jung, begeisterungsfähig, kenntnisreich und von der Mission erfüllt, uns offensiv für seine thailändische Heimat einzunehmen.

In seinen jungen Beamtenjahren arbeitete er zur Weiterbildung drei Jahre lang beim Städtischen Bauamt in Hannover, von wo er ausgezeichnete Deutschkenntnisse mitbrachte und einen schönen Spitznamen: Herr Müller. Gerne spricht er von sich in der dritten Person („Liebe Gäste fragen Herrn Müller …und Herr Müller antwortet ihnen…“), aber das tut Lothar Matthäus manchmal auch.

Zum Start führt uns Herr Müller zu einigen Wandmalereien mit Motiven aus Thonburis Alltag (oben), die in krassem Gegensatz stehen zum unmittelbaren Nachbarn, dem Luxuskaufhaus IconSiam.

Buddha, Jesus, Maria, Ganesh, Guan Yu: Auf gute Nachbarschaft

Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff

Soviel Toleranz wünschen wir uns auch für andere Regionen und Religionen: In Thonburi sehen wir Tempel, Kirchen und religiöse Ikonen unterschiedlichster Glaubensrichtungen in friedlicher Nachbarschaft.

Hohe Zeit für eine Pause. Wir kehren ein in „MY Grandparent`s House“ am Ufer des Chao Praya und entdecken einige alte Schätzchen, die wir aus Europa zu kennen glauben.

Bevor wir das Longtailboot entern für die Kanalfahrt, erholen wir uns im wunderschönen Princess Mother Memorial Park nahe der Memorial Bridge. Der Park wurde 1993 von König Bhumibol Adulyadej (Rama IX) zur Erinnerung an seine Mutter Srinagarindra gegründet, die in Thonburi als Tochter eines Goldschmieds geboren wurde. Sie starb 1995, der Park wurde zwei Jahre später eröffnet.

Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff

In den vielen kleinen Szenen eines acht Meter langen Steinreliefs beeindruckt mich besonders das Handwerk eines Zahnarztes (schon vor langer Zeit mit Maske!).

Die Fahrt durch die Klongs

Ein Buch auf Tour

Der beste Weg, ein Gefühl für das alte Bangkok zu bekommen, ist immer noch der Wasserweg. In meinem Buch „Thailand unter der Haut“ heißt es: „Im Longtail-Boot fuhren wir immer mal wieder durch die Klongs, die Kanäle, und entdeckten die verblassende Schönheit und bescheidene Realität eines Lebens am Wasser. Genau dort, am Wasser, wurde Bangkok vor 240 Jahren geboren, dort lebten die Menschen und trieben Handel. Ehe die meisten Klongs zugeschüttet und betoniert wurden, um Platz zu schaffen für Autos, für die Mobilität der Moderne.“

Bangkok wurde das „Venedig des Ostens“ genannt, und einige Klongs gibt es immer noch. Die verfallenden Häuser, die wir am Ufer sehen, sind genau das: Dokumente einer bescheidenen Realität.

Bescheidene Realität eines Lebens am Wasser (Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff)

Mein Video einer früheren Klong-Tour datiert von 2017 – es hat sich kaum etwas verändert. Nur der Riesen-Buddha ist hinzugekommen und hat die Tour um einen Höhepunkt bereichert.

Fazit: Ein langer, nie langweiliger Tag

Es war nicht mein erster Trip in und durch Thonburi. Auch diesmal habe ich wieder Neues entdeckt. Wie auch anders in diesem lebendigen Organismus namens Bangkok. Meine Füße habe ich inzwischen wiedergefunden, und mein Dank gilt Green Mango Bangkok Touren und natürlich Herrn Müller. Er ist übrigens der einzige Buddhist, den ich bisher getroffen habe, der nicht das Nirwana anstrebt, das Ende der Wiedergeburten. Warum? Haltet euch fest: Der Vater von vier Kindern möchte wiedergeboren werden, um auch im nächsten Leben mit seiner Ehefrau zusammen zu sein. Damit hat er die Latte für alle Ehemänner dieser Welt ziemlich hoch gelegt. Das nimmt er gelassen: „Herr Müller liebt eben seine Frau.“

Kontakt und Infos zu Green Mango Bangkok Touren hier.

Hoteltipp für Thonburi: White Ivory Bed and Breakfast

„Happy happy“: Herr Müller (Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff)