Ausgabe 24 – die Nostalgie-Nummer: Was ist Heimat? – „Unsere Kindheit“ auf Facebook und NVA-Feldsuppe bei Rewe – Engelbert lebt und singt in Hua Hin

Liebe Freunde, WeggefährtInnen und Südostasienfans!,

es fällt unter die menschlichen Unzulänglichkeiten, Leute für tot zu halten, nur weil man lange nichts mehr von ihnen gehört oder gesehen hat. Opernsänger Hermann Prey wurde nach längerer TV-Abstinenz von einem Fußgänger auf offener Straße gefragt: „Waren Sie nicht mal Hermann Prey?“ Deshalb die Information für alle, die ähnlich denken: Engelbert Humperdinck lebt. Und nicht nur das; der Troubadour mit der sanften Stimme singt noch immer. In den nächsten Tagen gibt er Konzerte auf Koh Samui, Phuket und in Hua Hin. Mit 86 Jahren.

Solche Nachrichten schicken mich umgehend auf Zeitreise. Nicht in die Zukunft, sondern Dekaden zurück. „Please release me“: Engelberts erste Single schaffte es in den Sechzigerjahren gleich ins Guinness Buch der Rekorde, das Lied verweilte 56 Wochen in Folge in den britischen Charts. In unserer Familie kämpfte Humperdinck gegen Stones, Beatles, Smokey Robinson, Chuck Berry täglich um Einsatzzeiten auf dem Plattenteller. Unter unserem Dach fanden alle Genres Heimat. Da tanzte „Die lustige Witwe“ von Franz Lehar durch die gute Stube, gefolgt von Bob Dylans „Like a rolling stone“. Musik taugte uns nicht zur Lagerbildung. Ich Beatles, du Stones – nicht bei uns.

Neue Heimat

Zurück in die Gegenwart. Seit einem Jahr arbeite ich an einem Manuskript über meine Erlebnisse und Erfahrungen in Thailand, sofern sie etwas über das Land aussagen, in dem ich unverändert gerne lebe. Da bleibt es nicht aus, dass ich beim Schreiben immer mal wieder auf dem Thema Heimat herumkaue. Jeder Mensch definiert Heimat anders, die meisten beschreiben sie so: Ort oder Region, in die man geboren wurde, Sprache, Prägung, Identität. Das war bei mir ähnlich, hat sich aber in 14 Jahren Asien gewandelt.

Angekommen (Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff)

Schon kurz nach meiner Ankunft in Bangkok 2008 war ich mir sicher, dass dieses schöne und bisweilen anstrengende Thailand mein Zuhause werden könnte. Eine Heimat nach Wahl. Mit einem Klima, das die Seele streichelt, mit Menschen, die ich schätze, mit seiner umwerfenden Natur und und… Nicht alle Kriterien sind an den geografischen Ort gebunden. Höre ich „meine“ Musik oder schaue mir Fußball im Fernsehen an, bin ich daheim, wo auch immer ich gerade zuhöre oder zuschaue.

„Unsere Kindheit“ auf Facebook

Die Vergangenheit ist nicht veränderbar. Gerade das macht sie für viele Menschen zum willkommenen Zufluchtsort in unserer Zeit der Veränderungen und Bedrohungen. Die Facebook-Gruppe „Unsere Kindheit und Jugend 60-80er Jahre“ verzeichnet jede Woche etwa 6000 neue Mitglieder, über 200.000 nun insgesamt. Sie schaffen mit ihren Beiträgen eine Geborgenheit, in der Erwachsene angstlos in ihre Kindheit reisen dürfen. Dabei erliegen sie keineswegs der Gefahr des „Früher war alles Gold“; oft geht es um Verlust und harte Zeiten.

Ostalgie: Die Supermarktkette Rewe verkauft in ihren ostdeutschen Filialen „Kelles` NVA-Feldsuppe“. Dass die Bundesstiftung Aufarbeitung darin eine „Verharmlosung des DDR-Unrechts“ erkannte, war die beste PR. Die Suppe ist ausverkauft.

Natürlich sind gerade Auswanderer nicht gegen Nostalgieoder gar Heimweh gefeit. Im Alter, so berichten viele Expats, hören sie plötzlich und vernehmlich den Ruf der Scholle. Den Ruf des Heimatlandes, den Lockruf des Vertrauten. Ich nicht so, ich höre nicht gut.

This is Thailand (Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff)

Mein Freund John Fengler traf in Chiang Mai einen amerikanischen Landsmann, dessen Entschluss feststand: Er wollte zurück nach New York und mit den Menschen alt werden, die er lange kannte und die ihn verstanden. Ein Argument, das auch den gebürtigen New Yorker John nachdenklich stimmte. Drei Wochen später traf er den Landsmann erneut und immer noch in Chiang Mai. „Wie kommt`s?“, fragte John. „Ich bin drüber weg“, sagte sein Freund. Thailand zu verlassen, fällt selbst solchen Expats schwer, denen es hier nicht mehr gefällt.

Ist das ein Widerspruch? Natürlich. Das ganze Land besteht aus Widersprüchen.



Aung San Suu Kyi: Isoliert und eingesperrt

Ihre Zelle in Naypidaw ist 18 Quadratmeter groß, oft wird es darin bis zu 38 Grad heiß, eine Klimaanlage gibt es nicht. Dort wird Aung San Suu Kyi seit Monaten eingesperrt; es ist sicher nicht das, was die 77-Jährige als Heimat bezeichnen würde. Mit de, gewohnten Zynismus entledigen sich Myanmars an die Macht geputschten Militärs ihrer größten Widersacherin. Sie bringen die gewählte Präsidentin des Landes nicht direkt um, sondern in einer Langfrist-Strategie durch politisch motivierte Gerichtsurteile.

Vor Aung San Suu Kyis Privathaus in Yangon (Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff)

Bisher wurde die Friedensnobelpreisträgerin in zwei nicht öffentlichen Prozessen zu insgesamt 17 Jahren Haft verurteilt; weitere Anklagen warten mit einem maximalen Strafmaß von 122 Jahren. All das geschieht unter den Augen der Weltöffentlichkeit, doch deren Aufmerksamkeit wird vom Ukrainekrieg und steigenden Gaspreisen aufgesogen. Myanmar ist für die Wahrnehmung im Westen zu weit weg. Die Burmesen suchen sich ihre Waffenbrüder im Osten. Myanmar ist China eng verbunden und kann auf eine enge Allianz mit Russland bauen.

Frankfurts Flughafen und Hongkongs neue Ära

Am Beispiel des Frankfurter Flughafen-Betreibers Fraport sehen wir, wie marginal das Wissen im Westen über die Region Südostasien ist. Am Frankfurter Airport warb eine Kampagne für die „neue Ära“ in Hongkong. Diese neue Ära besteht wesentlich darin, dass Hongkong in Chinas eisernen Griff geraten ist, Missachtung aller Menschenrechte inklusive. Fraport beendete die Werbepartnerschaft vorzeitig. Man habe die politische Tragweite der Kampagne „nicht ausreichend geprüft“.

60. Todestag von Hermann Hesse

In diesen Tagen vor 60 Jahren starb Hermann Hesse. Viele seiner Romanfiguren sind Suchende und zu idealistisch, um sich die Welt mit Ironie oder Zynismus vom Leib zu halten. Daher gab es Kritiker, die Werke wie Siddharta oder Der Steppenwolf Primaner-Prosa nannten. Andere Kritiker und vor allem das Publikum schätzten Hesse höher ein. Er wurde Deutschlands erster Literaturnobelpreisträger nach dem Zweiten Weltkrieg und in vielen seiner Werke zeitlos. „Stufen“ ist eines der berühmtesten Gedichte des Lyrikers Hesse:

„Wie jede Blüte welkt und jede Jugend

Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,

Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend

Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.

Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe

Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,

Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern

In andre, neue Bindungen zu geben.

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,

Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.”

Bis die Tage,

Khun Ben