Ich neige dazu, langsam wach zu werden. Brauche dann einen Kaffee, um in der harschen Wirklichkeit des Tages anzukommen. Aber es geht auch anders, wie ich am 20. Oktober wieder einmal festgestellt habe. Morgens um 4.36 packte meine Frau meine Hand, das Bett wackelte, beide waren wir schlagartig hellwach und wussten: Erdbeben. Es dauerte nur wenige Sekunden und war, mit einer Stärke von 4,1 Punkten auf der Richterskala, vergleichsweise harmlos. Das alles aber weiß man nicht, solange das Bett wackelt.

Das Beben am 2o. Oktober war das fünfte, das ich live erleben durfte. Vor etwa zehn Jahren saß ich vor dem Coffee Club im Zentrum Chiang Mais, am Thapae Gate. Plötzlich hörte ich ein dumpfes Grollen, als biege in meinem Rücken ein Trupp Elefanten um die Ecke. Ich wollte mich gerade umschauen, als aus dem Innenbereich des Cafés Menschen in Panik auf die Straße rannten.
Das Beben dauerte 20 Sekunden. Zeit ist relativ, wie Albert Einstein festgestellt hat. 20 Sekunden können sehr lang sein.
Danach fuhr ich zur Smith Residence (Foto links) am südlichen Rand der Altstadt, wo ich wohnte. Mieter und Angestellte standen auf der Straße, im Gebäude gab es den einen oder anderen großen Sprung in der Wand. Die anschließende Nacht schlief ich unruhig. Es gab, las ich später, 150 kleinere Nachbeben.
2009 oder 2010 surfte ich in meiner Bangkoker Wohnung im Internet, im 19. Stock des JC Tower, nicht weit von der Thonglor Road entfernt. Ich saß auf einem Bürostuhl mit Rollen, die plötzlich mal nach links und mal nach rechts ausbrachen. Es war, als ob ich im Sitzen Walzer tanzte, ohne Partner, und ich war nicht der, der führte. Der obere Teil des Towers schwankte, und es dauerte eine Weile, bis ich auf den Balkon lief und nach unten schaute. Dort standen die Menschen, die das Gebäude vorsichtshalber verlassen hatten. Ich finde auf Google keine Angaben, wie stark das Erdbeben damals war, dessen Epizentrum nach meiner Erinnerung in Myanmar lag.
Am 13. April 1992 um 3:20 Uhr eschütterte ein Erdstoß die Niederlande und den Westen Deutschlands. Das Beben hatte eine Stärke von 5,9 auf der Richterskala, es war das stärkste in der Region seit 1756. Ich schlief in meiner Wohnung im rheimischen Meerbusch, da flog ein Regal mit Büchern auf mein Bett. Das Epizentrum des Bebens lag gut 50 Kilometer entfernt im niederländischen Roermond, die Erschütterungen waren selbst in Berlin zu spüren.
Ganz spezielle Erinnerungen verbinde ich dem Jahreswechsel 1995/96 im karibischen Trinidad. Im Hotel in Port of Spain lernte ich am Silvestertag ein Paar aus Bonn kennen, das später mit Freunden in der brasilianischen Botschaft feiern wollte. Da wäre ich gerne dabei gewesen, stattdessen aß und trank ich am einzigen Einzeltisch draußen vor dem Hotel. Umgeben von gut 50 weiteren Tischen, besetzt mit Paaren, Familien, Freundesgruppen. Und alle schielten herüber zum komischen Ausländer, der solo feierte. Die Musik kam vom Band. Ausnahmslos Liebeslieder und und sentimentale Songs, mit denen ich intensive Erinnerungen an schöne Stunden zu zweit verband. Um 23 Uhr gab ich auf, ging ins Bett und schlief ins Jahr 1996 hinein.
Gegen drei Uhr morgens wurde ich wach, öffnete die Vorhänge des Fensters ein wenig und lugte hinaus in den Mondschein. Die Hotelzimmer waren zweigeschossig um den rechteckigen Swimmingpool angeordnet. Auf dem Beckenrand saß breitbeinig ein kräftiger Mann, im Wasser stand eine Frau, die ihren Partner oral verwöhnte. Das hatte mir gerade noch gefehlt. Kurz darauf glitt der Mann ins Wasser, seine Partnerin setzte sich auf den Beckenrand, Rollentausch. Vom ersten Stock rief eine männliche Stimme ungehalten: „Könnt ihr nicht auf eurem Zimmer weitermachen?“ Ich legte mich wieder hin. Das Jahr fing gut an.
Als ich gegen acht Uhr wach wurde, stand das Bett mitten im Raum. Im Frühstücksraum traf ich das deutsche Paar. „Haben Sie auch das Erdbeben gespürt?“, fragte mich der Mann. Nun wusste ich, warum, das Bett mitten im Zimmer stand. Ich hatte das Beben der Stärke 5,4 schlicht verschlafen. Noch vor einer Antwort drehte ich mich zur Seite weg und konzentrierte mich darauf, ernst zu bleiben. Gerade hatte ich realisiert, dass vor mir das Duo stand, das in der Nacht am und im Pool das neue Jahr begrüßt hatte.
