Von Aor bis Charlie Watts

Die Fußballmannschaft des Westdeutschen Rundfunks/WDR vor einem Wohltätigkeitsspiel im Jahr 1988: oben v. l. Frank Dammann (+2017), Willibert Kremer (+ Weihnachten 2021), Klaus Bruckmann, Reinhard Roder, Heiner Brand, Wolfgang Jerat (+2020), Bernd Linnhoff; unten v. l. ?, Werner Heyn, Eddie Körper, Waldi Gerhardt, Herbert Laumen.

Auf Dauer, sagte John Maynard Keynes, sind wir alle tot. Das könnte uns in den Fatalismus treiben. Tut es aber nicht. Wir haben nur dieses eine Leben und daran klammern wir uns. Die meisten schieben den Gedanken an den Tod lieber weg, Verdrängung aber gibt ihm Macht. Den Buddhisten hilft ihr Glaube an Wiedergeburt oft, aber nicht immer, wie ich in diesem Jahr gelernt habe.

Als ich am ersten Weihnachtstag versuchte, die Nachricht vom Tod Willibert Kremers zu verkraften, habe ich mich entschlossen, einigen Menschen, die mein Leben bereichert haben und 2021 starben, eine Erinnerung zu widmen.

Willibert Kremer erlag an Heiligabend einer langen Krankheit, er wurde 82 Jahre alt. 15 Jahre lang haben wir für wohltätige Zwecke in diversen Presse-/Prominententeams zusammen Fußball gespielt. Als Journalist begleitete ich sein erfolgreiches Schaffen als Trainer. Er führte den MSV Duisburg ins DFB-Pokalfinale, Bayer 04 Leverkusen in die Bundesliga und holte den 28-jährigen Reiner „Calli“ Calmund zu Bayer 04.

Auch als Spieler war Kremer erstklassig, bei Hertha BSC und dem MSV Duisburg. Vor allem aber war er ein feiner Kerl, eher leise und von verschmitztem Humor. Man musste ihn mögen. Und das taten dann auch alle. Ruhe in Frieden, lieber Willibert (Mehr dazu: Peter Ahrens` Nachruf im Spiegel).

Die Hundertjährige

Wer erst in meinem Alter Vollwaise wird, darf sich glücklich schätzen. Meine Mutter starb mit den 100 Jahren, die sie immer erreichen wollte. Schon an ihrem 99. Geburtstag war sie fest davon überzeugt, die dreistellige Wegmarke erreicht zu haben. Doch da sich niemand von der Lokalzeitung für eine entsprechende Notiz blicken ließ, hängte sie halt noch ein Jahr dran. Die Kriegsgeneration ist zäh offenbar. Und wenn der Tod so ein gesegnetes Alter erlaubt, ist die Dankbarkeit bei den Hinterbliebenen stärker als die Trauer.

Dank der Pandemie-bedingten Beschränkungen reiste ich nicht von Thailand nach Deutschland; die Beerdigung in meiner Geburtsstadt Hamm fand ohne mich statt, wie zuvor schon der 100. Geburtstag der Jubilarin.

Aor – das Feierbiest

Der Tod unserer Freundin Aor kam deutlich zu früh. Für sie sowieso, für uns auch. Mit gerade 46 Jahren starb sie an Krebs. In unserem oft vergnügten Freundeskreis war sie die lebenslustigste. Wer Beweise will, zähle die Kinder durch: es sind sechs. Bei der Beerdigung waren alle zugegen.

Die Zwillinge Arty (Junge) und Ida (Foto links) müssen mit dem Eintritt ins Schulalter nun auf die Mutter verzichten; Vater Matthew, Aors schottischer Partner, kümmert sich jetzt liebevoll um die beiden.

Thais gehen anders mit dem Tod um. Ihr Glaube an Wiedergeburt nimmt dem Tod das Endgültige. Bei Aors traditioneller Feuerbestattung half den meisten Anwesenden jedoch auch ihr buddhistischer Glaube nicht.

Zuletzt verloren auch die, die sich im Krematorium vor den Toren Chiang Mais lange mühsam beherrscht hatten, den letzten Rest Fassung, als der Sarg nicht durch die Öffnung des Ofens passte und mit ein paar Hammerschlägen passend gemacht wurde. „Sie will nicht gehen“, sagte meine Frau Toey.

Wir behalten Aor in Erinnerung als das überschäumende, allseits beliebte Temperamentsbündel und als Mutter, die mit sechs Kindern so gesegnet wie gefordert war.

Freunde und Weggefährten

Mit Rainer Holzschuh in Island 1978

Der Tod kann jeden Tag zuschlagen, mit wachsendem Alter erhöht sich die Wahrscheinlichkeit. Wir wissen das, aber fühlen wir es auch? Warum haut es mich dann trotzdem weg, wenn ich vom Tod meines Freundes Rainer Holzschuh erfahre? Warum erwischt es mich kalt, wenn ich höre, dass mein Freund und Ex-Kommilitone Bernd Michel seine Frau Anne an den Krebs verloren hat? Dass John Gaitens nie wieder Gitarre spielen wird in unserer Live-Musik-Bar CU Corner in Chiang Mai? Dass der Schweizer Hotelmanager Peter A. Schnyder, über den ich gerade noch ein paar Zeilen für ein Magazin geschrieben habe, wenig später einen finalen Herzinfarkt erleidet?

Gerd Müllers Tod war eine Frage der Zeit, wenn ich die Zeichen richtig gedeutet habe. Aber ich konnte mich darauf so wenig vorbereiten wie einst die Torhüter auf das unhaltbare Müllern. Gerd Müller führt die Liste derer an, die in ihrem Leben Millionen Menschen Freude bereitet haben und eben auch mir. Eine Freude, die zuweilen selbst bei spröden Naturen in Ekstase umschlagen konnte.

So trauerte ich im abgelaufenden Jahr um viele, die ich persönlich manchmal kannte, oft auch nicht, die ich aber durchaus als Gefährten entlang meines Lebensweges empfand. Bei den Fußballspielern und -trainern waren das Peter Grosser, Luggi Müller, Karl-Heinz Heddergott (bei ihm erwarb ich die Trainer-A-Lizenz), Hans-Dieter Tippenhauer, Giampiero Boniperti (92), Bernd „Dr. Hammer“ Nickel, Jimmy Greaves (81), Roger Hunt (83), Ian St. John und Horst Eckel natürlich. Mit ihm starb das letzte Mitglied der Weltmeister-Elf von 1954. So endete eine Ära, die mich in ihren Anfängen als Fußballfan, aber auch als Kind stärker prägte, als ich lange glaubte.

Fritz Walter und Horst Eckel in Bern 1954

„The music that you gave me, the soundtrack of my soul“ (Supertramp)

Der Gnade der frühen Geburt verdanke ich, schon im Kindesalter auf amerikanischen Soldatensendern die Everly Brothers gehört zu haben. Don Everly starb nun mit 84; das Leben der Brüder Don und Phil verlief völlg anders, als ihr Harmoniegesang vermuten ließ. Bunny Wailer gab mir Reggae und Charlie Watts´ Gefühl für Takt war für die Stones sicher noch wichtiger als für mich. John Miles schließlich schrieb und sang mit „Music“ die zeitlose Hymne für uns alle, denen Musik Freude und Trost spendet.

Mr. Music John Miles

2021 musste ich mich von einigen einigen Journalistenkollegen verabschieden. Von Reinhard „Blacky“ Schwarz, mit dem ich bei dpa zusammenarbeitete. Hans Rauchensteiner und Rainer Martini zählten zu den Besten der Fotografenzunft. Wolf-Dieter „Poschi“ Poschmann blieb nicht viel Zeit für einen unruhigen Ruhestand, auch Hans Reski und Hartmut Kreutz leben nicht mehr.

Ich liebe seine Cartoons, sie werden den Künstler überleben: Martin Perscheid wurde nur 55 Jahre alt

Rüdiger Schmitz und seine Vision

Jörg Neubauer starb in diesem Jahr mit 59. Er war einer der erfolgreichsten Spielerberater, Rüdiger Schmitz einer der frühen. Gegen Ende der Siebzigerjahre und im Jahrzehnt darauf beriet Schmitz die Stars des damals erfolgreichen 1. FC Köln: Toni Schumacher, Herbert Neumann, Heinz Flohe, Pierre Littbarski, Gerd Strack. Zwar musste ein Journalist damals noch nicht den Berater um Erlaubnis fragen, wollte er einen Spieler interviewen, doch der Kontakt zum Manager ergab sich organisch.

Später, als ich als Freier Journalist arbeitete, wurden Rüdiger und ich Geschäftsfreunde, bald auch Freunde. Mit seinem multifunktionalen Konzept war er Wegbereiter der Schalke-Arena. Doch seine leidenschaftlich verfolgte Vision eines 300 Meter hohen Gebäudes in Kegelform, mit einer 90000 Zuschauer fassenden Arena im Erdgeschoss, wurde nie realisiert, obwohl Verhandlungen in Rom, Shanghai, Bahrain aussichtsreich schienen.

Zu Toni Schumachers Abschiedsspiel 1992 in Köln verantwortete ich in Schmitzens Auftrag die PR-Arbeit, unterstützt von meinem Freund und Kollegen Tommy Damerow. Ein Jahr nach dem Ereignis und nach einer Zusammenarbeit mit Toni und Rüdiger, die zu meinen schönsten beruflichen Erinnerungen gehört, feierten wir noch einmal im Kölner Restaurant maca ronni: v. l. Herbert Neumann, B. Linnhoff, Tommy Damerow, Toni Schumacher, Marlies Schumacher, Rüdiger Schmitz.

Mit dem Schreiben dieser Zeilen schlich sich mehr und mehr Freude in meine Trauer. Freude über die Menschen, die mein Leben micht nur begleitet, sondern reicher gemacht haben.